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Unbelehrbar online

■ Bulgariens Ex-Diktator hat eine Homepage

Das Mitteilungsbedürfnis von Todor Schiwkow, langjähriger Staats- und Parteichef im ehemals kommunistischen Bulgarien, ist ungebrochen. Nachdem der letzte lebende Ex-Diktator eines kommunistischen Landes in Osteuropa vergangenes Jahr seine 700 Seiten starken Memoiren unters bulgarische Volk gebracht hatte, hat der 86jährige jetzt das Internet endeckt. „Es ist eine Freude und eine Ehre für mich, daß Kapitel meiner Memoiren jetzt auf den Seiten des globalen Informationsnetzwerkes Internet erscheinen können. Ich nutze diese Gelegenheit, um allen Freunden des Internets meine herzlichsten Grüße zu übermitteln, und wünsche ihnen, daß sie das neue Jahrtausend mit starkem Willen und Optimismus beginnen“, steht auf seiner Homepage unter www.bulgariaonline.bg/szivkov/.

Danach folgt der diskrete Hinweis, der Autor sei auf Diskussionen mit ausländischen Verlegern sowie deren Verbesserungsvorschläge bestens vorbereitet. Wer wollte es ihm verübeln? Rentner leben in Bulgarien schlecht und brauchen ein Zubrot. Intimste Kenntnisse aus dem Zentrum der Macht lassen sich auch in Dollar ummünzen. So modern seine Technik, so antiquiert seine Ansichten. „Mein größter Fehler ist es gewesen“, schreibt er, „daß ich die Öffnung des Führers der Sowjetunion, Michail Gorbatschow, zum Westen hin nicht verhindert habe.“

Daß das Internet Schiwkow läutert, glauben selbst Surfer nicht. „Wir sind schon ganz krank davon, daß Sie uns überall hin verfolgen“, schreiben bulgarische Studenten einer Pariser Hochschule. „Was ist aus Ihrer Kritik an der kapitalistischen Gesellschaft geworden, die diese Art der Kommunikation geschaffen hat und die nun von einem Anwalt kommunistischer Ideale so gut ausgenutzt wird?“ Ein anderer äußert sich nicht weniger klar: „Es ist kaum vorstellbar, daß Schiwkow den Mut und die Dummheit besitzt, im Internet seinen Beitrag zur Zerstörung Bulgariens und des bulgarischen Volkes zu erläutern.“ Barbara Oertel

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