: Es muß wohl Liebe sein
■ „Wenn der Postmann ...“ im Cinema: Pal Sletaunes Liebeserklärung an die Schrulligkeit der Kleinstbürger
Schon Aki Kaurismäki vermittelte uns Alessidekor-Umschmeichelten den Eindruck, daß Nordeuropa die wahrere DDR war – und immer noch ist. Erstaunt darf der Zuschauer Wohnungen, Restaurants und Bars besichtigen, an denen jeder Designwille vorbeigegangen ist. Spitzengardinen, Resopaltische, PVC-Böden und wacklige Nachttischkästchen sehen aus, als wären sie aus tief verborgenen gammeligen 60er-Jahre-Kindheitserinnerungen hervorgezerrt worden. Nur gut, daß Kino nicht riecht. Nicht weniger ausgereift beherrscht der Norweger Pal Sletaune die Klaviatur der radikalen Unscheinbarkeit. Er führt uns durch heruntergekommene Hauseingänge zu klapprigen Briefkästen, zu den Sex-, Fantasy- und Heavy-Metal-Regalen eines Zeitschriftenladens, auf rostbraune Gleisanlagen, in baugerüstverkleidete Mietshäuser und mitten hinein in darbende Küchenschränke: Manche Leute ernähren sich eben nur von Kellogs Frühstücksfrosties. Sofas und Wände tragen Farben, die ihre Nähe zu Blau, Grün und Braun längst durch langjährige Ausbleichungs- oder Abschabungsprozesse eingebüßt haben.
Nahtlos in dieses anmutig trieste Ambiente fügen sich die Personen ein. Im Postamt, dem Arbeitsplatz unseres Antihelden Roy, hängen großzügig gestaltete Doppelkinne unter kleinen Äuglein; Mäuschennasen streben zaghaft aus ausgezehrten, blassen Bubengesichtern; ein monströser Narbenschädel schreckt. Auch Roy ist ein solcher Niemand in individueller Ausprägung. Die Augenbrauen gehorchen einem unwiderstehlichen Drang nach unten. Und wenn Roy spricht, was selten wie Feiertage vorkommt, führt ungenügende Mundwinkelarbeit zu klops- oder schnutenförmigen Lippenöffnungen. Eisiges Schweigen antwortet der Frage „Und was ist Dein Ding... was kannst Du richtig gut?“ In die Höhe strecken tut er sich jedenfalls nur, wenn irgendjemand in einem außerordentlichen Anfall gesteigerter Lustbarkeit Roys Prince-Zigaretten einen Meter über dessen Kopf plaziert.
Schlurfig wie sein schlammgrüner Parka ist auch sein Berufsethos. Wer ihn ärgert, kriegt seine Briefe nicht – die Rache des kleinen Mannes. Und Prospekte landen prinzipiell statt im Briefkasten in Roys höchstpersönlicher Müllhalde in einem Eisenbahntunnel. Ein dröger, dumpfer Mensch also, hart an der Grenze zur Debilität, dessen Gegenwart man in der Realität keine fünf Minuten ertragen würde. Nur auf Distanz gehalten, vom Kinosessel aus, trägt er durchaus liebenswerte Züge. Warum der Film bisweilen die unerträgliche Langeweile des Seins zeigen kann ohne selber langweilig zu werden, sollte bitteschön endlich mal jemand erklären.
Ein blonder Lockenschopf und die dazugehörigen zwei zarten Waden lassen in Roys amorphen Seelensumpf ein blindes Streben keimen. Pures Reiz-Reaktion-Schema: Es muß wohl Liebe sein. Jedenfalls benimmt sich Roy seit der Inansichtnahme der jungen Angestellten einer Reinigung, entweder albern oder himmelschreiend desaströs. Er rubbelt sich die Achseln geruchsfrei, doktert lebensgefährlich an einem Komapatienten herum und klaut einem Schwerverbrecher seine Beute. Zumindest letzteres sollte man aus Gründen des Selbstschutzes nicht tun. Doch obwohl Roy zielsicher in jedes Fettnäpfchen tritt, entkommt er jeder wirklichen Gefahr – als wache über ihn eine gute Fee. Bei aller Verfallenheit an die Niederungen dieser Welt handelt es sich bei diesem Film also um ein lupenreines Märchen. Der eher schmuddelige als reine Tor kriegt sein Happy end. Nein, kein Kuß. Wortkarg darf er der Angebeteten hinterhertrotten. Eine sympathische Schule der Bescheidenheit.
bk
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