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Die im Dreck graben

Gerechtigkeit für Serbien: Gilles Peress' eindrucksvolle Fotografien aus den Massengräbern von Srebrenica  ■ Von Brigitte Werneburg

Wie der Krieg im früheren Jugoslawien das Leben und den Charakter der Leute veredelt hat, davon berichtete uns 1996 Peter Handke in seinem eiskalten Report über eine winterliche Reise, der nichts weniger als „Gerechtigkeit für Serbien“ forderte. Derweil stand der Pressefotograf Gilles Peress und ein internationales Team von Gerichtswissenschaftlern um die forensischen Mediziner William Haglund, Clyde Snow und Eric Stover schon in den Massengräbern zwischen Tuzla und Srebrenica, um einer weniger literarischen Gerechtigkeit auf den Weg zu helfen. Sie waren vom internationalen Kriegsverbrechertribunal in Den Haag beauftragt, den Genozid an der muslimischen Bevölkerung in dieser Region aufzuklären.

Beim Fall der UN-Schutzzone Srebrenica hatten sich 20.000 Männer auf die Flucht in bosnisch-muslimische Gebiet gemacht, weitere 23.000 Menschen, vorwiegend Frauen und Kinder, aber auch Männer hatten sich mit der fliehenden niederländischen Unprofor- Truppe in das UN-Lager Potocari gerettet. In weniger als zwei Tagen wurden sie jedoch den Niederländern von den Serben gewissermaßen unterm Hintern weggestohlen. Kolonnel Thomas Karremans fand, die Serben hätten das sehr raffiniert gemacht: „So wie Pac- Man.“

Die Einnahme von Srebrenica sei eine „exzellent geplante militärische Operation“ gewesen. Leider diente sie dem Zwecke der Vertreibung, der nachfolgenden Vergewaltigung der Frauen und Ermordung der Männer. Soviel zur Regelhaftigkeit des Krieges, die den Satz „Soldaten sind Mörder“ angeblich Lügen strafen soll.

Von den 20.000 Männern, die sich zuvor auf die Flucht gemacht hatten, überlebten ebenfalls nur wenige. Ihre Leichen waren nun aus den Massengräbern entlang ihrer Marschroute zu bergen. Über dieses wahrhaft gerechte Unternehmen liegt jetzt ein großartiger Bildband vor. Gilles Peress, dessen Bilder die Welt schon über den Völkermord an den Tutsi in Ruanda aufgeklärten, hat den Alptraum erneut in eindrucksvollen Fotografien als Alltag kenntlich gemacht.

Ebenso bestechend, eindringlich und zugleich sachlich beschreibt Eric Stover, Leiter der Physicians for Human Rights, die mühselige Arbeit der Gerichtswissenschaftler. Er erklärt ihre Methoden, erläutert ihr Ermittlungsziel und die Anstrengungen der Nato, beim Erreichen dieses Ziel nicht allzu hilfreich zu sein. Doch nicht nur deren Anwesenheit, sondern eben auch die Arbeit des Kriegsverbrechertribunals – die unter solchen Umständen nur heroisch genannt werden kann – ist notwendige Bedingung für den Frieden in der Region.

Eric Stover, Gilles Peress: „Die Gräber – Srebrenica und Vukovar“. Scalo Verlag, Zürich 1998, 336 S., 186 Duoton-Abb., 48 DM

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