piwik no script img

Schau mir in die Augen, Kleiner

Deutsche Polizisten büffeln – damit sie Bekiffte identifizieren können  ■ Von Volker Probst

Berlin (taz) – Stoned oder nicht stoned – das ist hier die Frage. Polizisten müssen dafür wieder die Schulbank drücken. Damit sie die heute in Kraft tretende Neufassung des Straßenverkehrsgesetzes richtig umsetzen können: Die verlangt harte Sanktionen für Fahrten unter Einfluß von Drogen wie Marihuana oder Kokain. In speziellen Schulungen lernen die Ordnungshüter, an welchen Symptomen sie bekiffte oder zugedröhnte Verkehrsteilnehmer erkennen sollen. Dies soll es ihnen erleichtern, einen Anfangsverdacht zu erhärten, bevor sie einen Fahrer zur Blutprobe schicken. Durchgeführt werden die Lehrgänge von den Landesinnenministerien.

Schau mir in die Augen, Kleiner – schon ein tiefer Blick in die Augen soll Anhaltspunkte für einen illegalen Rausch geben. Außergewöhnlich große Pupillen zum Beispiel sollen den Fahrer als Kiffer, Kokser oder Pillenschlucker entlarven. Kleine Pupillen hingegen können die Polizisten als Hinweis für Heroinkonsum werten. Weitere Indizien sollen Verhaltensstudien bei den kontrollierten Personen liefern: „Bei nahezu allen Drogen weisen die Konsumenten eine gewisse Euphorie auf“, weiß Ralf-Detlef Spiller, Hauptkommisar beim Berliner Landesschutzpolizeiamt, zu berichten. „Unangemessene“ Fröhlichkeit, aber auch Trägheit oder Müdigkeit der Fahrer reichen schon aus, um in Verdacht zu geraten.

Doch nicht nur die Theorie, sondern auch der praktische Umgang wird den Polizisten in den Seminaren vermittelt – zum Beispiel mit einem neuen „Drogenschnelltestgerät“. „Mit diesem Gerät fährt man über die Haut und sammelt so Schweißpartikel auf“, erklärt Volker Mattern, Sprecher des Bundesverkehrsministers. Der Schweiß soll Hinweise liefern, ob die kontrollierte Person „Kontakt“ mit Drogen hatte – Drogenkonsum selbst kann das Gerät aber gar nicht nachweisen. „Das Gerät ist noch in der Erprobungsphase“, entschuldigt sich Mattern. Dennoch soll es in naher Zukunft eingesetzt werden.

„Völlig dämlich“ findet Jost Leune, Geschäftsführer beim Fachverband Drogen und Rauschmittel in Hannover, die Methoden, die zur Erkennung von Drogenkonsum angewandt werden sollen. „Der Blick in die Augen des Fahrers oder bestimmte Verhaltensweisen können keinerlei schlüssigen Hinweis auf Drogenkonsum geben“, sagt Leune. Daß die Polizisten so zu „Gesichtskontrollen“ verleitet sein könnten, streitet Ralf-Detlef Spiller von der Berliner Polizei ab: „Nur weil jemand zum Beispiel wie ein Raver aussieht, wird er nicht anders behandelt.“ Leune ist skeptisch: „Nach wie vor werden Menschen, die im bürgerlichen Sinn äußerlich negativ auffallen, stärker kontrolliert.“

Ebenso negativ bewertet Drogenexperte Leune das neue Straßenverkehrsgesetz: „Das ist plumper Aktionismus.“ Dennoch legt er Wert auf die Feststellung, daß auch er nicht will, „daß zugedröhnte Leute durch die Gegend fahren“. Er plädiert für ein generelles Drogenverbot im Straßenverkehr: „Dazu müssen aber erst einmal geeignete Testmethoden her. Außerdem muß der Alkohol einbezogen werden. Das heißt: 0,0 Promille.“ Zu den geeigneten Testmethoden würden auch fixe Grenzwerte für eine Drogenkonzentration im Blut gehören, die das neue Straßenverkehrsgesetz bewußt ausschließt. Insbesondere Cannabis kann jedoch noch mindestens sechs Wochen nach dem letzten Konsum im Blut nachgewiesen werden. Die Folge: Selbst wer Wochen zuvor einen Joint geraucht hat, bekommt eine Anzeige, wenn er im Rahmen einer Fahrzeugkontrolle zur Blutprobe geschickt wird. Ralf-Detlef Spiller findet das in Ordnung: „Schließlich kennen wir die Gefahr des ,Echorauschs‘, der noch Tage nach der Einnahme von Drogen auftreten kann.“ – „Die Existenz von Echoräuschen ist wissenschaftlich nicht belegt. Hier findet wieder mal eine völlig unangemessene Mystifizierung der illegalen Drogen statt“, sagt dagegen Jost Leune.

Nicht auszuschließen ist, daß im Verkehr aufgespürte Drogenkonsumenten künftig zweimal bestraft werden – nach dem neuen Straßenverkehrsgesetz und wegen Verstößen gegen das Betäubungsmittelgesetz (BTM). Das BTM stellt zwar nur den Besitz und nicht den Konsum von Drogen unter Strafe. „Ich bin mir aber sicher, daß es Mittel und Wege gibt, den Leuten auch noch ein BTM-Verfahren anzuhängen“, so Leune. Auch der Berliner Hauptkommisar hält das für möglich: „Wenn ein Verstoß gegen das BTM vorliegt, ist es Sache des Gerichts, ob es die Vergehen als tateinheitlich wertet oder nicht“, sagt Spiller. „Ich kann nur hoffen, daß die Gerichte diesen Schwachsinn nicht mitmachen werden“, spricht Leune allen Kiffern aus dem Herzen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen