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Weniger Züge, höhere Preise: Von Kundenfreundlichkeit versteht die Deutsche Bahn nichts. Mitverantwortlich dafür ist die ineffektive Konzernorganisation und die CDU-Vetternwirtschaft in der Führungsetage der Bahn AG. Eine Analyse von Annette Jensen

Im Sackbahnhof

Beförderungsfall in einem Transportgefäß“ – so bezeichnete die Bahn früher eine Reisende. Inzwischen heißt sie Kundin. Ihre Mitnahme sei kein hoheitlicher Gnadenakt, haben Unternehmensberater den Eisenbahnern eingebleut, die noch immer zu einem Drittel Beamte sind. Vielmehr müsse dieses wählerische Wesen durch attraktive Angebote angelockt werden – denn nur so stimme am Ende die Kasse. Und darauf kommt es schließlich an in einer privatwirtschaftlich arbeitenden Firma, wie es die Bahn seit der Reform vor vier Jahren offiziell ist. Die Chefetage der Bahn will dem Imagedebakel der vergangenen Wochen entgegentreten, als fast täglich neue Meldungen über weniger Züge und höhere Preise kursierten. Die „für die Kunden unfreundlichen Kilometerentgelte“ sollen durch ein flexibles Preissystem ersetzt werden, heißt es jetzt. In Zeiten, in denen die Züge leer sind, soll es billiger werden. Ob zugleich die Reise in bisher vollen Waggons teurer wird, wie Verkehrsexperten und Landesregierungen weiter argwöhnen, ließ die Bahn im dunkeln.

Daß etwas geschehen muß, damit die Bahn wirtschaftlich nicht in den Abgrund rollt, ist unumstritten. Denn um die Bilanzen der Deutschen Bahn AG ist es mittelfristig gar nicht gut bestellt. Schon vier Jahre nach dem defizitfreien Start hat das Unternehmen einen Schuldenberg von fast 20 Milliarden Mark aufgetürmt – übermäßig viel bei einem Umsatz von etwa 31 Milliarden Mark. Ohne ein günstigeres Verhältnis von Ausgaben zu Einnahmen ist die DB AG jedenfalls bald an der Endstation angelangt. Das Management hat die Devise ausgegeben: 1,4 Milliarden Mark im Jahr müssen eingespart werden. Schuld an der prekären Lage sind allerdings nicht nur einige Eisenbahner, die im alten Stil weitermachen und sich weder um Effizienz noch um Kosten scheren. Auch die Struktur des Konzerns, bei der Güter-, Nah- und Fernverkehr sowie Netz und Bahnhöfe weitgehend voneinander getrennte Unternehmensbereiche sind, erweist sich immer wieder als uneffektiv. Mindestens ebenso wichtig aber ist, daß der Bund als Eigentümer des Unternehmens ständig mit politischen Vorgaben in den Betrieb hineinregiert und ihm Entscheidungen aufnötigt, die sich auf dessen Wirtschaftlichkeit fatal auswirken. Und schließlich stimmen die verkehrspolitischen Rahmenbedingungen nicht: Die DB AG muß gegen einen Gegner anfahren, der massiv bevorzugt wird: Während Laster und Autos kostenlos über deutsche Straßen rollen, zahlt die Bahn für jeden gefahrenen Kilometer eine Trassengebühr.

Als besonders konservativ gelten die Leute, die bei der Bahn AG fürs Netz zuständig sind. „Sie neigen dazu, extrem teuer zu bauen“, sagt Wolf Drechsel von der Gesellschaft für fahrgastorientierte Verkehrsplanung. Nicht nur Kontakte zu alten Hoflieferanten treiben die Kosten in die Höhe. Die Netzmitarbeiter entscheiden sich auch fast immer für den höchsten technischen Standart – koste er, was er wolle. Völlig undenkbar für sie ist, was die Salzburger Lokalbahn seit Jahren ohne Unfall praktiziert: 200 Züge am Tag auf der eingleisigen Strecke nach Lambrechtshausen fahren zu lassen – ohne millionenteure Signaltechnik. Der wirtschaftlich äußerst günstige Trick der Salzburger: Die Triebfahrzeugführer kennen ihre Strecke in- und auswendig und verständigen sich per Funk mit der Leitstelle. Auch die Pflege der Weichen wird hier äußerst günstig durchgeführt. Die Betriebsführung kalkuliert für diese Aufgabe sechs Arbeitsstunden im Jahr ein, die das Personal in Wartezeiten erledigt. „Die DB AG rechnet dagegen mit 20.000 Mark, weil sie einen Durchschnittswert für alle Weichen annimmt – egal ob es sich um extrem unterhaltungsaufwendige Hochgeschwindigkeitsweichen oder handbediente Weichen auf Nebenstrecken handelt“, so der Fachmann von der Gesellschaft für fahrgastorientierte Verkehrsplanung. Auf diese Weise subventioniert der Nahverkehr nicht nur die teure ICE-Infrastruktur. Die Bahn hat aufgrund dieser verfehlten Kalkulation in den vergangenen Jahren auch reihenweise Weichen eingespart, was letztendlich zu Engpässen im Netz und dadurch zu Verspätungen geführt hat.

Die gesetzlichen Vorgaben für die Bahn sind hierzulande besonders hoch. So schreibt das Eisenbahnkreuzungsgesetz von 1993 vor, daß es beim Bau neuer Schienentrassen überhaupt keine Bahnübergänge mehr geben darf. Doch gerade Tunnel und Brücken treiben die Kosten für neue Strecken massiv in die Höhe und sind nicht einmal ein Garant für Sicherheit, wie der Unfall von Eschede beweist. Verkehrsexperten schätzen, daß die Verlegung von Schienen in Deutschland drei- bis viermal so teuer ist wie in vielen anderen europäischen Ländern.

Bei der DB AG haben die Bereiche Nah-, Fern- und Güterverkehr als auch Netz und Bahnhöfe völlig unabhängig voneinander eine Struktur aufgebaut, die ständige Dienstreisen erfordert. Sitzen beispielsweise die Organisatoren der südwestdeutschen Trassen in Karlsruhe, so arbeiten die für die Bahnhöfe der Region zuständigen Kollegen in Stuttgart. Viele aufwendige Besprechnungen seien durch die Trennung der Bereiche nötig, beschweren sich Mitarbeiter. Bei einer Telefonaktion, bei der sie ihren obersten Chef persönlich anrufen konnten, klagten viele Eisenbahner außerdem über widersprüchliche Anweisungen, berichtet Johannes Ludewig in einem Brief an alle Mitarbeiter.

Wie schlecht die konzerninterne Kommunikation funktioniert, belegen auch die kürzlich bekanntgewordenen Pläne der Fernverkehrsabteilung, schon im September zahlreiche Schnellzüge in den frühen Morgen- und späten Abendstunden zu streichen. Die Leute vom Nahverkehr wurden von diesem mittlerweile auf Eis gelegten Vorhaben überrascht. Sie sahen ihre mühsam ausgetüftelten Anschlußverbindungen gefährdet – und waren genervt.

Daß die ökonomische Situation der DB AG in den kommenden Jahren heikel werden wird, liegt aber auch zu einem erheblichen Teil an politischen Vorgaben des Bundes. Er ist Eigentümer des Konzerns und ordnet an, daß betriebswirtschaftlich unverantwortliche Projekte wie der Transrapid gebaut werden. Bahnintern geht man längst davon aus, daß die Kosten viel zu niedrig veranschlagt sind und die immens hohen Fahrgastzahlen nie erreicht werden können. „Der wesentlich billigere Ausbau der vorhandenen Trasse zu einer ICE-Verbindung ist aber nie geprüft worden“, konstatiert Karl-Peter Naumann, Vorsitzender von Pro Bahn.

Da war die Bundesregierung vor. Kanzler Helmut Kohl wollte den Transrapid unbedingt. Und deshalb ließ er auch zu, daß das Risiko für die Schwebebahn immer weiter von der Industrie auf die DB AG verlagert wurde. Wohl auch damit dort kein Protest laut wird, hat er im vergangenen Jahr den ihm treu ergebenen Staatssekretär Johannes Ludewig auf den Chefsessel der DB AG entsandt. Der bestätigte kürzlich noch einmal im Handelsblatt, daß es eine „echte Risiko- und Aufgabenverteilung“ und eine „faire Partnerschaft“ unter allen Beteiligten gäbe. Noch vor den Wahlen soll der symbolische Startschuß für das Milliardenprojekt abgefeuert werden. Bis dahin sind die langfristig bindenden Verträge mit der Industrie unterschrieben, so jedenfalls der Plan. Eigentlich wollte die Bundesregierung schon vor der Sommerpause alles unter Dach und Fach haben. Doch der Streit mit Siemens, Thyssen und Adtranz über die Kosten eines möglichen Betriebsausfalls verzögert den Abschluß.

Immerhin hat sich die DB AG weitgehend erfolgreich dagegen gewehrt, die Kosten für die politisch gewollte Hochgeschwindigkeitsstrecke Nürnberg–Erfurt zu übernehmen. Über 90 Prozent der acht Milliarden Mark teuren Trasse zahlt der Bund als Zuschuß und nicht, wie ansonsten üblich, als zinsloses Darlehen. Dennoch sehen viele Eisenbahner das Projekt als wirtschaftlichen Schaden für die DB AG: Schließlich verursacht jede ICE-Trasse hohe Unterhaltskosten. Und die werden durch die wenigen Züge am Tag, die durch den Thüringer Wald fahren sollen, nie und nimmer gedeckt.

Wenn es um einen effektiven und kundenfreundlichen Zugverkehr geht, verweisen Bahnexperten immer wieder auf die Schweiz. Der entscheidende Unterschied zu Deutschland: Die Schweizer planen vom Ziel her – und das ist eine möglichst schnelle Verbindung von Haus zu Haus. Eine Hochgeschwindigkeitsstrecke, die einige Minuten Reisezeit einspart, ist dort kein Selbstzweck. Nur wenn sie sich in den landesweiten Taktfahrplan einfügt und somit das System als Ganzes schneller macht, wird sie gebaut. Die Kunden honorieren das: Die Schweizer fahren im Durchschnitt viermal so viele Kilometer mit der Bahn wie die Deutschen.

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