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Himmlisch aufsteigende Hitze

■ Der Hamburger Andreas Oldörp läßt in Eutin seine Klangskulptur tönen

Ein Künstler, der seit zehn Jahren für seine Ausstellungsorte spezielle Klanginstallationen baut, kann zwar in Fachkreisen geschätzt werden, so recht sichtbar wird er aber in seiner Heimat nicht. Und so muß man die Arbeiten des Hamburgers Andreas Oldörp in Budapester Galerien, Norwegischen Festungen, dänischen Schlössern oder tschechischen Synagogen aufsuchen. Etwas näher ist da der Wasserturm in Eutin, in dem seine neue Arbeit zu finden ist. Die Nutzung des stadtbeherrschenden Rundturms durch die Künstlerinitiative „OHa Kunst“ begann letztes Jahr mit einer Performance des dänischen Fluxus-Künstlers Henning Christiansen. Für Kunst ist es ein interessanter, aber schwieriger Raum: hohes Erdgeschoß mit Rundtreppe, Stockwerke mit Eisenfenstern im gotischen Stil, stählerner Behälter für 250.000 Liter Wasser...

Andreas Oldörp hat in seiner Installation „Großes Weiß“ mit einem konstanten Bass-Ton den Raum verändert. In Kombination mit der Architektur wird die skulpturale Form des auf Dauer gestellten Klanges deutlich: Die Wendeltreppe ermöglicht es, den Tonschichtungen in der Höhe zu folgen und unterschiedliche Obertonlagen und somit Klangfärbungen aufsteigend zu erhören – und dabei darf daran gedacht werden, daß seit dem Symbolisten Edward Burne-Jones und dem Übervater der Moderne, Marcel Duchamp, allein schon die Bilder des Treppensteigens musikalische Bedeutungen hatten.

Die Tonquelle im Turm ist nicht etwa elektronisch, sondern ein im ersten Stock zentral aufgehängtes Glasrohr von drei Metern Länge, in dem eine kleine Gasflamme brennt. Denn für seine tonalen Raumstrukturierungen setzt der 1959 geborene Andreas Oldörp entweder Orgelpfeifen oder „singende Flammen“ ein. Zu letzteren wurde er angeregt durch das legendäre Pyrophone, eine Feuerorgel, die der Physiker und Musiker Frederic Kastner um 1870 entwickelt hat: Gasflammen erzeugen je nach Durchmesser und Länge der Röhre unterschiedliche Tonhöhen und Klangfarben.

Wie ein monochromes Bild erschließen sich diese Klangarchitekturen nur demjenigen, der bereit ist, sich in die Sinnlichkeit des werkeigenen Raums hineinziehen zu lassen. Ob man glaubt, das Summen des eigenen Blutes im Kopf zu hören, oder meint, dem Gesang der weißen Wolken über der Holsteiner Seenlandschaft zu lauschen: Erst im Versuch, für sich die prismatisch aufgebaute Tonstruktur zu erkunden, öffnet sich die Materialität dieser Klangbildhauerei. Allerdings – sich auf die Vielheit in der Einheit einzulassen, erfordert zwei knappe Güter: Zeit und Ruhe.

Hajo Schiff

Wasserturm Eutin, Wilhelmstraße, tägl. (außer Do) 10-18 Uhr, bis 13. September

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