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Niemand liebt uns

■ In Rumänien erklären die Talkshows dem Volk, warum es nur immer so benachteiligt ist

Die Einschaltquoten im rumänischen Fernsehen klettern am höchsten, wenn der frühere Hofdichter Adrian Păunescu im Privatsender Antena 1 die Tugenden des rumänischen Volkes beweihräuchert. Seine Sendung handelt von den Gefahren der „Überfremdung“, von der historischen Tapferkeit seiner Landsleute oder von ihrem genialen technischen Erfindungsgeist. Die bevorzugten Gäste Păunescus sind nationalistische Politiker, Wunderheiler, verkannte Künstler, wütende Sänger. Eine unübersehbare Fangemeinde huldigt der Sendung.

Von Ceaușescus Hofdichter zum TV-Star

Vielleicht sind es dieselben Leute, die vor 1989 in den Stadien dem nationalkommunistischen Guru zuhörten, ihn bewunderten und verehrten. Während der Revolution im Dezember 1989 wäre Păunescu von aufgebrachten Aufständischen fast gelyncht worden, da er als einer der wichtigsten Propagandisten des gestürzten Regimes galt. Erst 1992 traute er sich wieder an die Öffentlichkeit, trat der Nachfolge-KP, der Sozialistischen Partei der Arbeit, bei, gab eine nationalistische Hetzgazette heraus und gründete einen Verlag.

Rumänien als Opfer okkulter Mächte und Verschwörungen, das ist derzeit nicht nur das Lieblingsthema von Păunescu. Auch die anderen Talkmaster und deren Gäste, deren Sendungen sich in Rumänien derzeit einer Beliebtheit erfreuen wie noch nie, bemühen sich, dem Volk alles zu erklären: weswegen Rumänien ein so schlechtes Image im Ausland hat, weswegen Rumänien nicht in die Nato aufgenommen wird oder weswegen Rumänien keinen Preis beim Eurovisionsfestival erhalten hat. Die Schlußfolgerung von Moderator Adrian Păunescu jedenfalls ist ganz einfach: „Niemand liebt uns.“

Talkshows scheinen derzeit für viele Rumänen die letzte Freude zu sein, die sie noch haben. Das Fernsehen bietet heute das attraktivste Alternativprogramm für die Enttäuschten, Abgespannten und Unzufriedenen im Land. Geld für andere Unterhaltungsmöglichkeiten ist sowieso knapp.

Vor 1989 gab es bloß ein auf einige Stunden reduziertes Fernsehprogramm, in dessen Mittelpunkt der „geniale Steuermann“ Nicolae Ceaușescu und seine Vorstellungen von der „vielseitig entwickelten sozialistischen Gesellschaft“ standen. Nach jahrzehntelanger televisionärer Abstinenz können die rumänischen Fernsehmacher aller Kanäle gar nicht genug von dem neuen und vor allem billig herzustellenden Format Talkshow bekommen.

Besonders Privatsender leben von den Talkshows

Nicht nur die beiden Kanäle des rumänischen Staatsfernsehens TVR 1 und TVR 2 füllen ihre Sendezeit mit den Quasselarien gegen die Benachteiligung Rumäniens in der Welt. Insbesondere die nach der Wende von cleveren Geschäftsleuten, Neureichen und millionenschweren Exilrumänen gegründeten Privatsender bieten ein ungewöhnlich hohes Angebot an solchen Shows. Die privaten TV- Sender wie Pro TV, Antena 1, Tele 7ABC und Prima TV setzen dem Publikum allabendlich das vor, was alle denken. Oder besser gesagt, denken sollen.

Grimmige Journalisten, freundliche Schriftsteller, raunende Priester, zornige Politiker, unbegreifliche Intellektuelle bevölkern da Abend für Abend die Bildschirme, die sich in Tempel einer virtuellen Freiheit verwandeln. „Niemand liebt uns“, erklärt Adrian Păunescu in seiner wöchentlichen Sendung den Zuschauern. Erschöpft und gleichzeitig glücklich können sie danach spät nach Mitternacht zu Bett gehen. William Totok

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