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Meuterei auf der Boeing

■ Im Preiskampf der Fluggesellschaften steigt für das Personal der Streß. Eine Crew verweigerte den Flug, doch ihre Entlassung ist unrechtmäßig

Berlin/ Düsseldorf (taz) – Es soll eine nebelige Nacht gewesen sein. Am 2. November des vergangenen Jahres ist der Dunst am Düsseldorfer Flughafen so undurchdringbar, daß die Fluggesellschaft LTU den Start der Boing 767 zu den Malediven kurzfristig auf den Frankfurter Rhein-Main-Flughafen verlegt. Die Besatzung fliegt mit der leeren Maschine dorthin. Doch auch in Frankfurt ist vom Start keine Rede. Zuerst wird die Maschine noch gereinigt und mit Essen und Getränken versorgt. Die sechs Stewardessen und der Kabinenchef rechnen sich aus, daß sie länger als zwölf Stunden arbeiten werden. Doch dazu sehen sie sich körperlich nicht in der Lage und gehen von Bord. 230 Passagiere müssen im Hotel übernachten, verpflegt und entschädigt werden. LTU zögert nicht: Das Personal wird fristlos entlassen.

„Die Meuterei auf der Bounty“ heißt im Düsseldorfer Justizgebäude seither eine Reihe von Prozessen, in denen die Flugbegleiterinnen und der Kabinenchef gegen die „Disziplinarmaßnahme“ klagen, wie ihr Anwalt die Kündigungen nennt. Mit Erfolg. Eine Stewardeß und der Kabinenchef siegten gestern auch in zweiter Instanz vor dem Landesarbeitsgericht gegen LTU und müssen somit weiterbeschäftigt werden. Weitere Verfahren laufen noch. Formal wird darum gestritten, ob die Pilotin gemäß den Bestimmungen einen sogenannten „Kapitänsbefehl“ ausgesprochen hatte, um die Crew zu einer Arbeitszeit von 14 Stunden zu verpflichten – was die Besatzung bestreitet.

Als Grundsatzurteil zu den Arbeitsbedingungen ist die Entscheidung nicht zu verstehen. Dabei dürften diese der Grund für die „Meuterei“ gewesen sein. Denn was früher für Teenies der Traumjob schlechthin war, ist im harten Wettbewerb der Fluggesellschaften zum Streßberuf geworden. Wenn der zeternden Dame in der First Class der Piccolo-Sekt zu trocken ist, wenn der rotgesichtige Bankmanager seinen Blick nicht von dem engen Rock losreißen kann, ja selbst wenn der Last-Minute-Tourist aus Castrop-Rauxel zum dritten Mal auf den Gang gekotzt hat: Stewards und Stewardessen müssen immer lächeln.

„Durch die Billiganbieter ist der Druck gestiegen“, sagt Gerhard Krumey von der Deutschen Angestellten-Gewerkschaft (DAG). In Tarifverhandlungen werde regelmäßig versucht, schlechtere Leistungen für die Beschäftigten durchzusetzen. In den Maschinen meckerten neurotische Passagiere oft „schlimmer als in jedem Münchner Biergarten“. Das Personal müsse durch die oft zu engen Sitzreihen fast kriechen, hätten ihm Stewardessen erzählt. So eine Sicht kann LTU-Sprecher Marco Dadomo nicht teilen, auch wenn Stewardeß heute „natürlich ein anstrengender Job“ sei.

Mit großen Gesellschaften wie LTU oder Lufthansa können die Gewerkschaften tatsächlich noch ganz zufrieden sein. Die gäben insgesamt ein „seriöses Bild“ ab, findet Anrdeas Heß von der Gewerkschaft ÖTV. Bei Billig-Airlines wie Germania oder Britania würden bestimmte Flugzeiten „bis zum Schluß ausgereizt“. DAG-Mann Krumey ärgert das, weil auch das Kabinenpersonal in Krisensituationen eine wichtige Rolle spiele, etwa wenn die Passagiere beruhigt werden müßten.

Die Sicherheitsfrage trifft freilich auf Piloten noch mehr zu. Georg Vongern von der Pilotenvereinigung Cockpit gibt zu, daß 14 Stunden hinter dem Steuerknüppel heute keine Seltenheit sind. Wenn einer von zwei Piloten schlafe, sei niemand mehr da, um den anderen zu kontrollieren. „Wir fliegen ohne Netz und doppelten Boden“, warnt Vongern. Allein die Lufthansa habe kürzlich eine Verbesserung eingeführt. Bei Langstreckenflügen ab elf Stunden seien immer drei Piloten an Bord, einer könne sich in einem Bett im Cockpit schlafen legen. Das gilt allerdings nur für Piloten, von einem Bett für Stewardessen oder Stewards hat noch niemand etwas gehört. Georg Löwisch

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