: Ein sensationeller Berti-Faktor
Die Fußball-Bundesliga im großen taz-Test (I): Wer spielt modernen Fußball – und wo riecht es nach Vogts? Heute: Aufsteiger SC Freiburg arbeitet weiter an seinem Stil ■ Tester Ulrich Fuchs
Wie groß ist der Berti-Faktor? (Zur Definition des B-Faktoren siehe rechts.) Stilprobleme gibt es im Freiburger Fußball jenseits des Rasens. Im Abstiegsjahr und auch in der Aufstiegssaison wehte Volker Finke, dem Fußball-Reformer auf der Trainerbank, vor allem von der Haupttribüne der „Keine-Experimente“-Geist der Restauration entgegen. Aber wen wundert's, daß das Publikum nach fünfjährigem Absingen des Badnerlieds vor jedem Heimspiel an zunehmenden Bewußtseinsaufweichungen leidet? Dennoch:
Wird Fußball gespielt?
Aber hallo! Flexibilität ist das Schlüsselwort im taktischen Konzept des Sport-Clubs. Kein Libero hinter der Abwehr, keine eindeutige Seitenorientierung bei den drei zentralen Mittelfeldspielern, jeder übernimmt die anfallenden Defensivarbeiten, jeder darf, wenn es sich anbietet, mit in die Offensive. Der lange Flugball ist als Stilmittel verpönt. Nach vorne geht's in Freiburg mit Kurzpaß-Kombinationsspiel. Im Defensiv- und Offensivverhalten gilt dabei das Prinzip: Der Mannschaftsverbund verschiebt sich geschlossen über den Platz mit dem Ziel: Überzahl herstellen in Ballnähe.
Wer hilft?
Präsident Achim Stocker und sein Trainer haben noch im Abstiegsjahr „den zweiten Abschnitt des Modells Freiburg“ (Finke) beschlossen. Was nichts anderes bedeutete, als die Rückkehr zum ersten: zum Konzeptfußball ohne Kompromisse. Seitdem hält Stocker seinem Trainer allen Anfeindungen zum Trotz bedingungslos den Rücken frei. Und: Der SC kommt zurück mit einem echten Manager aus der Calmund-Schule. Name: Andreas Rettig.
Wer stört?
Jeder, der das Prinzip des kollektiven Spiels nicht trägt. Nachdem die Verpflichtung „fertiger“ Spieler sich in der Vergangenheit (Sutter, Decheiver) als „mittelfristig negativ“ (Finke) erwiesen hatte, wurde zur neuen Saison, keineswegs aus Geldmangel, nach Spielern Ausschau gehalten, „die ihr Potential noch nicht ausgeschöpft haben“ (Finke). Für Lars Hermel (Zwickau), Mike Rietpietsch (Düsseldorf) und Thomas Radlspeck (Unterhaching) gilt zudem ein weiteres systemkompatibles Qualitätskriterium: Sie können mehrere Positionen spielen.
Wie will man Tore schießen?
Gute Frage. Einerseits ganz einfach: Mit kurzen Pässen übers Mittelfeld, am besten an einer der Seiten die Lücke finden, Vorstoß auf die Grundlinie, Rückpaß, Abschluß. Andererseits doch nicht so einfach: Der SC hat (außer mit Abstrichen Rekonvaleszent Wassmer) keinen Angreifer mit ausgeprägten Abschlußqualitäten. Im Gegenteil: Iashvili und Ben Slimane zählen nicht zur Kategorie der Zentrumsstürmer, sondern bevorzugen vorbereitende Aktivitäten. Das führt manchmal zu einem beängstigenden Verhältnis von herausgespielten Chancen und erzielten Toren. Was den SC aber trotzdem nicht hinderte, in der Zweiten Liga mit der höchsten Trefferquote ins Ziel zu kommen. Allgemeines Qualitätsdefizit:
Der Sport-Club hat eine sehr junge Mannschaft, die erst ihr zweites Jahr zusammenspielt. Da klaffen zwischen Anspruch und Umsetzung noch manches Mal Abgünde. Auch das Nervenkostüm flatterte im Aufstiegsjahr bisweilen bedenklich. Gegentreffer in den letzten fünf Minuten wurden zu einer Spezialität. Man darf gespannt sein, wie sich die Elf beim Auftakt in Bochum mental präsentiert. Qualitätsdefizit: 30
Was macht der Trainer?
„Kein Super Jungs, kein Begeisterungsausbruch. Das höchste Lob, das Volker Finke zu verteilen bereit ist, pendelt irgendwo zwischen gar nicht so schlecht und: Wir haben insgesamt 'nen vernünftigen Job gemacht. Der schlimmste Tadel dagegen ist, wenn du des asozialen Verhaltens bezichtigt wirst, weil du egoistisch gehandelt und dem Kollektiv geschadet hast.“ Sagt Jens Todt, und wer sollte es besser wissen.
Taugt der Torwart was?
Welcher? Mit vier Torhütern geht der SC in die Saison, nachdem keiner der drei Aufstiegsjahr-Keeper überzeugt hat. Richard Golz, der vom HSV kam, ist die gesetzte eins. Erste Spiel- und Interview- Eindrücke lassen hoffen.
Wer ist der beste?
Fragen Sie mal, wenn der Trainer nicht mitliest. Und vorher können Sie ja schon mal drauf achten, ob Marco Weißhaupt als Mittelfeldspieler auch in der Bundesliga weiterhin so prima spielt und trifft.
taz-Prognose: Sonderpreis der Jury für konsequente Arbeit an Stilveränderungen des deutschen Fußballs. Ansonsten Platz 9.
Morgen: Der Klub, bei dem alles Otto ist – leider auch der B-Faktor.
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