Glücksbringer bringen kein Glück

In Spandau soll eine der größten Fischfarmen Europas mit japanischen, chinesischen und israelischen Buntkarpfen einem taiwanischen Investor weichen  ■ Von Barbara Bollwahn

Seinen ersten Goldfisch bekam Benjamin Wohlfeld, als er sechs Jahre alt war. Jetzt ist er 71 Jahre alt und besitzt eine halbe Million Goldfische und Karpfen. Nicht irgendwelche Karpfen, sondern chinesische Buntkarpfen, sogenannte Kois. Seit Jahren gewinnt Wohlfeld mit seinen chinesischen, israelischen und japanischen Zierfischen einen Pokal nach dem anderen. Kois haben mit den gewöhnlichen Karpfen nur gemeinsam, daß sie beide eßbar sind. Doch die „Könige des Gartenteiches“, die zuerst von den Chinesen, später von den Japanern gezüchtet wurden, wären ein teures Gericht. Die Fische, die bis zu 1,20 Meter lang und an die 200 Jahre alt werden können, kosten bis zu 60.000 Mark. Außerdem würden beim Kochen die wunderschönen Färbungen der „Bekkos“, „Utsurimonos“ und „Kin Gin Rins“ verschwinden.

Es gibt sie in Gold, knalligem Orange, tiefem Blau oder auch dreifarbig. Selbst in den Farben von Nationalflaggen. So wie der „Tancho“ mit seiner weißen Schuppenhaut und dem roten Punkt einer schwimmenden japanischen Nationalflagge gleicht, würde Wohlfeld gerne einen schwarz-rot-goldenen Koi züchten. Doch dazu hat er keine Zeit. Wie ein Fisch an der Angel kämpft er ums Überleben seiner Farm, die zu den größten in Europa zählt.

Obwohl Kois als Glücksbringer gelten, scheint sich diese fernöstliche Weisheit für Wohlfeld in Deutschland nicht zu bewahrheiten. Seit Monaten bangt er um die Zukunft des knapp 3.500 Quadratmeter großen Geländes in West- Staaken, wo er seit 1993 Fische züchtet. Dort, wo Wohlfeld Dutzende von Bassins aufgestellt und Gartenteiche angelegt hat, will ein taiwanischer Investor einen „Industrie- und Gewerbepark“ errichten. Angesichts der in Aussicht gestellten 500 Millionen Mark teuren Investition scheint Wohlfelds Fischzuchtfarm, für die er jährlich Zierfische im Wert von zwei Millionen Mark nach Berlin importiert, zu einem kleinen Fisch zu werden. Denn das Land Berlin, Eigentümer des Grundstücks, will, daß Wohlfeld sich ein neues Domizil sucht, damit das Gelände an den Investor verkauft werden kann – ohne Fische.

Dabei hat Wohlfeld einen Vertrag. Doch der Vermieter, mit dem er 1993 einen zehnjährigen Vertrag schloß, die Metall-Industrie- Werke (MIW), existiert nicht mehr. Als die Privatisierung des DDR-Betriebes platzte, ging das Gelände an die Treuhand. Weil die MIW nie im Grundbuch eingetragen war, ist das Land Berlin seit 1994 Eigentümer. „Was früher passiert ist“, so Michael Wehran von der Senatsverwaltung für Wirtschaft, „ist heute nicht mehr relevant.“ Das Angebot des Senats – ein neuer Mietvertrag bis zum Jahr 2000 mit Option auf Verlängerung – lehnt Wohlfeld ab. „Dann müßte ich mich ja verpflichten, bis 2002 zu verschwinden.“ Das kommt für ihn nicht in Frage. Ein Umzug würde eine einjährige Betriebsunterbrechung und ein hohes Risiko für die Fische bedeuten.

Nach vielen Gesprächen mit Bezirks- und Senatsvertretern – sogar die Investorenleitstelle des Senats wurde eingeschaltet – haben sich mittlerweile die Fronten so verhärtet, daß ein Kompromiß unmöglich erscheint. Auch die Vermittlungsversuche des SPD-Bundestagsabgeordneten Wolfgang Behrendt scheiterten an den unterschiedlichen Rechtsauffassungen. Eine kürzlich aufgetauchte Erbengemeinschaft macht die Geschichte nicht gerade einfacher.

„Was hier passiert, ist eine offizielle Sauerei“, schimpft Wohlfeld. Wohlfeld zeige sich uneinsichtig und unkooperativ, meinen dagegen das Bezirksamt und der Senat. Deshalb wird das Land Berlin in den nächsten Tagen eine Räumungsklage beim Landgericht einreichen. Die Vorlage dazu hat Wohlfeld selbst geliefert. Er ist mit 170.000 Mark Nutzungsentgelt im Rückstand. „Das Geld habe ich auf ein Sperrkonto eingezahlt“, so Wohlfeld. Das begründet er mit Investitionen, die eigentlich der Vermieter hätte tätigen müssen. Doch das Bezirksamt weigert sich. Begründung: „Die eingereichten Belege über die behaupteten Investitionen und Instandhaltungsmaßnahmen zeigen leider keine ernsthafte Bereitschaft, zu vernünftigen Ergebnissen zu kommen“, heißt es in einer Pressemitteilung von Bezirksbürgermeister Konrad Birkholz (CDU).

Das Rechtsamt betont, daß die Räumungsklage nicht direkt mit den Plänen des Investors zu tun habe, der 2002 mit dem Bau eines Produktions- und Dienstleistungszentrums beginnen will. Die Klage sei eingereicht worden, um das ausstehende Geld einzutreiben. Weil der Bezirk seit 1995 vergeblich Abschlagszahlungen einfordere, so das Rechtsamt, sei nun Eile geboten, denn nach vier Jahren verjähren die Ansprüche. Doch Bezirksbürgermeister Birkholz spricht klipp und klar von einem „Investitionshindernis“. Eine Aussage, die Wohlfeld aus einer Fernsehsendung aufgezeichnet hat. Michael Wehran von der Senatsverwaltung für Wirtschaft betont die Seriosität der „SunSun Technologie- und Investitionsgesellschaft“. Der Investor, der der Mittelstandsbeauftragte des Taiwan-Ausschusses der Deutschen Wirtschaft ist, sei bereits mit vier Produktionsbetrieben in den neuen Bundesländern tätig. Wohlfelds Grundstück brauche man „dringend“, weil der Investor bereits ein Grundstück neben der Fischfarm besitzt. „Dort hat er schon einige Existenzen zugrunde gerichtet“, behauptet Wohlfeld.

Wohlfeld flieht sich in Zynismus: „Laß dir ein Bein abhacken, dann sparst du einen Schuh“, kommentiert er die Räumungsklage. „Ich akzeptiere doch nicht freiwillig die Todesstrafe und bezahle den elektrischen Stuhl noch selber“, fügt er hinzu. Sein kämpferischer Sprachstil ist nicht verwunderlich. Der gebürtige Leipziger und Jude, der 1934 mit seinen Eltern nach Palästina emigrierte, hat über 25 Jahre lang für den israelischen Geheimdienst Anti-Terror-Kommandos ausgebildet. Als er vor über 20 Jahren seine deutsche Ehefrau kennenlernte, quittierte er den Armeedienst und widmet sich seit über zwanzig Jahren ausschließlich der Fischzucht, die er vorher als Hobby betrieben hatte. „Mich vertreibt keiner wieder“, sagt er.

Nun setzen beide Seiten auf Justitia . Das Rechtsamt hofft auf das Gericht als neutralen Dritten, und Wohlfeld setzt auf „einen Richter mit Gerechtigkeit“. Ihm geht es um „die wahre Wahrheit“. Aus China, wo er derzeit ein deutsch- chinesisches Joint-venture aufbaut, will er Informationen haben, daß der taiwanische Investor ein „Immobilienspekulant“ sei. „Paranoide Anschuldigungen“, kontert Wehran von der Wirtschaftsverwaltung.

Doch Wohlfeld fühlt sich von Berlin im Stich gelassen. „Ich habe Spandau auf die Fisch-Weltkarte gebracht“, sagt er stolz. Bezirksbürgermeister Birkholz habe vor der letzten Wahl „große Sprüche über Kleinunternehmer“ wie ihn gemacht. Und nun soll sein Betrieb, der acht Beschäftigte und vier Familienmitglieder ernährt, nichts mehr zählen. „Birkholz ist kein ehrenhafter Politiker“, sagt Wohlfeld. Statt weiter Arbeitsplätze zu schaffen, müsse er jetzt Geld zurückhalten für einen Prozeß. „Kein Birkholz macht mir die Nerven kaputt“, stellt er klar, „da bin ich aus anderem Material geschmiedet.“

Wohlfeld will sich nicht wie ein Fisch an der Angel aus dem Wasser ziehen lassen. Er versucht, die Angelsehne durchzubeißen. Bereits im vergangenen Jahr, als er gegen den Import kranker, japanischer Kois zu Felde gezogen war und eines Nachts 200 seiner prämierten Koi-Karpfen vergiftet wurden, hat er nicht aufgegeben, obwohl er eine halbe Millionen Mark eingebüßt hat. Auch jetzt ist sein Kampfwille ungebrochen. Nur eines hat er verloren: das Interesse an einer Vergrößerung seines Standortes in Deutschland. Über 200 Kois, sein bestes Zuchtmaterial, hat er schon nach China geschickt. „Dort wird mein Know- how geschätzt“, sagt er.