: Ost-Guildos
■ Auch der DDR-Schlager stirbt nicht, wie ein neu aufgelegter Amiga-Sampler dokumentiert
Der Osten tickt anders, heißt die neue Zauberformel der Erkenntnis über das Beobachtungsgebiet Ex-DDR. Am schnellsten gemerkt wurde das ja in Sachen Nostalgiepartyfeiern, was im Osten zuweilen mit alten Uniformteilen geschieht. Um so größer ist natürlich die Freude, wenn mal alle gleich ticken, wie im Siebziger-Jahre-Guildo-Horn-Nußeckchen-Fieber vorm Grand-Prix-Finale, dem vorläufigen Höhepunkt des deutschen Schlager-Revivals. Dabei bezieht sich das in seiner Gesamtheit eigentlich auf die alleinige Verkultung des westdeutschen Schlagers. Mittlerweile sind dessen Altheroen alle wieder hip, doch auch etliche ostdeutsche Ex-Stars haben ihr Wende-Tal der Tränen offenbar durchschritten.
Viele Leute werden es bedauern, aber es ist so: Der Schlager ist nicht totzukriegen, nicht mal im Osten. Moment, wird da der Fan der Heckschen Hitparade fragen: Gab's denn in der finsteren DDR überhaupt Schlager? Haben die nicht immer nur die Westhits nachgesungen, wie das Sieben-Brücken-Lied vom Maffay? Gut, es gibt schlimmere Verwechslungen, und das Wissen über den volkseigenen Schlagerbetrieb gehört nicht eben zu den wichtigsten Lehren der Geschichte. Da aber im Nachwenderückblick auf die DDR vom realsozialistischen Sexspiel bis zum Glück als solchem alles aufgearbeitet wurde, sollte auch dem Schlagerschaffen als Liebes-Soundtrack die Würdigung nicht verwehrt werden. Dachte sich jedenfalls die Plattenfirma Amiga und veröffentlichte jetzt eine CD, die einem Meilenstein des DDR-Schlagerwesens huldigt. Sie heißt „Heißer Sommer“ und beinhaltet die Lieder eines DEFA-Musikfilms, der vor ziemlich genau 30 Jahren in die DDR-Kinos kam. Schon das Mitwirken des ultimativen Schlager- Traumpaares Ost, Chris Doerk und Frank Schöbel, sorgte damals für Furore, ihre Lieder erst recht.
Stücke wie „Was erleben“ oder der Titelsong vermittelten echtes Sixties-Feeling und kriegten darum schnell das Prädikat „Kult“. Was wahrlich keine Floskel ist, wenn man um die Einschaltquoten weiß, die der Film noch bei seiner zigsten Ausstrahlung in ORB und MDR erzielt. Mit dem 1972 nachgeschobenen Streifen „Nicht schummeln, Liebling“ verhält es sich nicht anders. Dessen Soundtrack wurde auf die CD darum praktischerweise gleich mit raufgepackt. Einmal im Revivalfieber taumelnd, verabreicht Amiga zudem einen von Ex-Schlagerstar Hartmut Schulze-Gerlach (alias „Muck“) präsentierten „Damals war's“-Hitmix, der gesamtdeutsches Schlagergut – von Tony Marshall bis Helga Hahnemann – enthält. Hört man sich an, was da zusammenkam, bleibt nach der Ausnüchterung ganz lapidar festzustellen, daß die DDR-Schlagerinsel im allumfassenden Systemvergleich noch mit am besten abschnitt. Was daran liegt, daß Schlager-Wahrheiten überall schlicht sind und unsterblich wie die in ihnen besungene Liebe. Abgesehen von der guten Gesangsausbildung vieler DDR-Barden, konnte von einer Art sozialistischem Schlager neuen Typs nämlich keine Rede sein. Auch die Werktätigen im Arbeiter-und-Bauern-Staat ließen sich – auf Brigade- und Frauentagsfeten oder aus dem Büroradio – am liebsten mit dem immer gleichen Gefühlsfusel zutrichtern.
Der Schlagerkitsch kannte keine innerdeutsche Grenze. Natürlich wurde auf Konferenzen der Unterhaltungskunst einem höheren Niveau das Wort geredet, doch gesungen eher selten. Wer auf der Suche nach dem ostdeutschen Schlagerkult ist, kommt nicht nur am Schöbelschen Überhit „Wie ein Stern“ unmöglich vorbei, sondern auch an in jeder Hinsicht legendären Namen wie Monika Herz („Kleiner Vogel“), Muck („He, kleine Linda“) oder Ute Freudenberg („Jugendliebe“). Und weil auch in der DDR das Feiern vorzugsweise unter Alkoholeinfluß stattfand, konnten vertonte Peinlichkeiten wie „Auf die Bäume, ihr Affen, der Wald wird gefegt“ vom Duo Hauff&Henkler zum Riesenhit geraten. Solche Lieder haben es natürlich verdient, nie vergessen zu werden. Gunnar Leue
Der Film „Heißer Sommer“ läuft während der „Kino am Pool“- Filmnächte im Freibad Wilmersdorf am 7. August, 22 Uhr, den Sampler gibt es in allen gut sortierten Fachgeschäften.
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