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Jodling in der Sommerfrische

■ Der Ton macht die Musik: Wer statt von naufkraxeln von uphilling redet, könnte auch in Österreich bald die Twens auf seiner Seite haben

Österreichs Fremdenverkehr ist in der Klemme. Ein dramatischer Rückgang der Übernachtungszahlen in den vergangenen Jahren trieb den Beherbergungs- und Bewirtungsmanagern den kalten Schweiß in den Nacken und ließ sie nächtelang über ihren Büchern brüten. Als mitverantwortlich für die Krise gilt unter anderem die altbackene Tourismuswerbung, die spaßorientierte Jungtouristen das Weite suchen läßt.

Daß nicht alle österreichischen Ferienregionen in der k.u.k. Nostalgie verharren, zeigt der phantasievolle Ferienbericht der Bräunungsstudiobetreiberin Jennifer S. aus W., die ihren Urlaub in einer Ferienclubanlage bei Kitzbühel verbrachte.

„Samstag, 26.8.: Toller Empfang durch Clubmanager Josef Hüttenbichler und seine Crew. Alle in der topmodischen Hirschledernen und im Leinenjanker mit dem Alpendreams-Logo: eine blutrote Sonne, die hinter einem Berg hervorlugt – todschick! Nach dem Begrüßungsdrink (Almdudler mit Tequila) machte ich es mir erst einmal in meinem Bungalow bequem. Er ist ganz im original Almhütten-Stil gehalten und verströmt ein uriges Flair von Bergromantik. Aus unsichtbaren Lautsprechern perlte ein wohltuend entspannender Softrock-Melodienreigen, der mich sanft in den Schlaf wiegte. Gegen drei Uhr nachmittags weckte mich Anja, die Animateuse des Clubs, zum Schnupper-Volleyballturnier. Abends nach dem Essen ging's dann mit den anderen Gästen in die Clubdisco, wo es die Ötztaler Techno-Buam echt haben krachen lassen.

Sonntag, 27.8.: Strahlender Tag. Vor dem Frühstück zum Body- Shaping in die Fitneß-Studiohütte. Tina, meine persönliche Problemzonen-Beraterin, meinte, ich hätte doch im Grunde eine super Figur, und wenn ich es schaffen könnte, das Frühstück ausfallen zu lassen, würden meine Fettpolster an den Hüften in einer Woche wegschmelzen wie der Stubaigletscher unterm Ozonloch. Statt zu brunchen machte ich also lieber noch ein paar Kniebeugen. Mittags ging es dann unter Leitung von Toni, unserem Bergführer, zum Erlebniswandern auf den Letschachkofel. Das Uphilling sei unheimlich gut für meine Oberschenkel, hat mir Tina noch als guten Rat mit auf den Weg gegeben. Und erst das Downhilling! Als wir nach sechs Stunden wieder im Club ankamen, mußte ich mich erst mal hinlegen.

Montag, 28.8.: Musik, Musik, Musik. Vom Frühstücksei bis zum Dämmerschoppen hüllt dich ein unheimlich flauschiger Soundteppich ein. Und dann noch alles inmitten der imposanten Alpenkulisse – man schwebt förmlich auf einer einzigen Wohlfühl-Klangwolke durch den Tag. Heute machten wir Schuhplattling, das ist so eine Art alpenländischer Jazzdance-Gymnastik. Nach einer dreiviertel Stunde waren wir alle fix und fertig und erholten uns am Pool.

Dienstag, 29.8.: Heute scheint die Sonne. Wir nix wie rauf auf den Geierkopf. Die Höhensonne am Gipfel soll noch intensiver sein als auf Ibiza! 3 Stunden Uphilling schaffte ich ohne mit den Wimpern zu zucken. Unterm Gipfelkreuz führte uns Holger dann in die Kunst des Jodling ein. Ein Mordsspaß, bei der ich mich gar nicht ungeschickt anstellte. Jedenfalls wurde ich einstimmig zur Jodel- Queen gewählt. Holger ist ein braungebrannter Luis-Trenker- Typ in uriger Almwear. Er meint, bei meinem Stimmpotential würde es sich lohnen, Einzelunterricht zu nehmen...

Mittwoch, 30.8.: Heute ist der große Tag: 24 Stunden nonstop Alpiner Gaudi Rave mit DJ Gamsbart. Bis zur völligen Erschöpfung in der Club-Disco abgetanzt. Anschließend zum Chill-out in die Sennerei. Holger ist süß!

Donnerstag, 31.8.: Morgen letzter Tag. Höhepunkt dieser an Höhepunkten wahrlich reichen Woche soll eine Heißluftballonfahrt sein. In schwindelnder Höhe die majestätischen Alpenwipfel unter uns zu erblicken, wie Holger mir vorgeschwärmt hat, das stelle ich mir super vor. Und in der Höhe ist der Bräunungsfaktor der Sonne ja noch besser als unter der Höhensonne daheim in Worms! Auch super! Da kann ich mir noch eine volle Röstung holen. Die Mädels daheim werden vor Neid erblassen, wenn sie mich sehen – tiefbraun wie die Krönung von Jakobs...“

Hier bricht das Reisetagebuch der Jennifer Scheibel leider ab. Wie uns die Geschäftsführung der Ferienanlage Alpendreams mitteilte, kam es am 31.8. zu einem bedauerlichen Zwischenfall, als der Heißluftballon, in dem sich Jennifer S. mit vier weiteren Clubgästen befand, von einem Fehlschuß aus der Flinte eines Gastes, der sich zum Tontaubenschießen auf der Sonnenbichlalm eingefunden hatte, getroffen wurde.

Wie der stellvertretende Obmann des örtlichen Fremdenverkehrsvereins bei seinem Besuch am Krankenbett in einer bewegenden Ansprache betonte, hoffe er, daß die so unglücklich Verunfallten einen trotz aller abrupten Beendigung doch unvergeßlichen Aufenthalt verlebt hätten. Rüdiger Kind

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