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Unterm Strich

„Die Meistersinger von Nürnberg“, Richard Wagners umstrittenste Oper und gerne als „Lieblingswerk Hitlers“ bezeichnet, wird heute zum 250. Mal bei den Bayreuther Festspielen aufgeführt. Selbst Wagnerianer räumen ein, daß das forcierte Deutschtum im dem ursprünglich als „heiteres Satyrspiel“ konzipierten Werk propagandistisch leicht auszubeuten war. Den Nürnberger Reichsparteitag begleitete das Werk bald nach der Uraufführung als Festoper. Bei den Bayreuther Festspielen standen die „Meistersinger“ während der NS-Zeit zunächst nur 1933 und 1934 auf dem Programm – trotz der engen persönlichen Freundschaft Hitlers zur damaligen Festspielleiterin Winifred Wagner. Allerdings wurden die von der NS-Gemeinschaft „Kraft durch Freunde“ organisierten Kriegsfestspiele 1943 und 1944 ausschließlich mit den „Meistersingern von Nürnberg“ bestritten. Der langjährige Pressechef der Festspiele, Oswald Georg Bauer, bemerkt rückblickend zu den Kriegsfestspielen: „Während die deutschen Städte in Schutt und Asche sanken, wurde im Festspielhaus noch einmal der Traum von der deutschen Vergangenheit, einer deutschen Stadtkultur beschworen.“

Apropos Stadtkultur: Die skandalträchtige Übernahme des Festspielhauses Baden-Baden durch die Stadt muß nach Ansicht der Grünen überprüft werden. In einem am Montag veröffentlichten Schreiben an Karlsruhes Regierungspräsidentin Gerlinde Hämmerle führen sie mehrere Mängel auf. So habe der Gemeinderat unter großem Zeitdruck und unter der Androhung eines sofortigen Konkurses entscheiden müssen. Die Beratungsunterlagen seien mangelhaft und die Freistellung von der Haftung für den bisherigen Hauptbetreiber Dekra voreilig gewesen. Zudem habe in der entscheidenden Sitzung der Kämmerer gefehlt, und es habe kein neutrales Gutachten über die Konsequenzen einer Übernahme vorgelegen. Der Gemeinderat der Stadt Baden-Baden hatte in der vergangenen Woche für die Übernahme der Hauptanteile an der privaten Betreibergesellschaft des Festspielhauses zum symbolischen Preis von einer Mark gestimmt.

Christus kam nur bis Eboli, die Rolling Stones – auch wenn das irgendwie schwer zu glauben ist – bislang immer nur nach Berlin- Weißensee oder andere Ex-Vorposten Moskaus. Wenn Sie diese Meldung lesen, werden die Rolling Stones aber im richtigen, echten Moskau, Ex-Capital of the USSR, gespielt haben, und zwar das erste Mal. 70.000 Menschen werden im Luschniki-Stadion erwartet. Schon Anfang des Jahres 1967 habe die Gruppe erstmals bei den sowjetischen Behörden um eine Konzert-Erlaubnis in Moskau angefragt, sagte Mick Jagger „vor Journalisten“ in der russischen Hauptstadt. Doch im Kreml herrschte Angst und Zittern vor zuviel volksfremdem Rock'n'Roll. Inzwischen freilich gehen Mick Jagger, Keith Richards und Charlie Watts auf die Sechzig zu – das sind zwei Jahrzehnte mehr, als sie der russische Ministerpräsident Sergej „Babyface“ Kirijenko auf dem Buckel hat. Außerdem stehen etwa 3.000 Polizisten bereit, um für Ordnung zu sorgen. Die Tickets wurden für Preise zwischen 120 bis 245 Rubel (35 bis 70 Mark) verkauft. Logenplätze nahe der Bühne gingen allerdings für 2.100 Dollar über den Tisch. Mehr morgen.

Auch Elvis kommt (wieder), aber nicht nach Moskau, sondern zur großen Elvis-Woche nach Memphis- Tennessee, die noch bis zum 16. August läuft. Zu den wichtigsten Veranstaltungen zählen ein Seminar der Universität Memphis mit dem Titel „Elvis: The State of His Art“ sowie eine Elvis-Rock'n'Roll-Riverboat- Kreuzfahrt auf dem Mississippi. Der Höhepunkt ist die jährliche Nachtwache mit Tausenden von Fans bei Kerzenlicht in Graceland, die am 15. d. M. um 21 Uhr beginnt. Nichts wie hin!

In dreißig Jahren werden vorausichtlich auch Fischmob, die Rapper von der Wasserkante, in Moskau aufgetreten sein. Zunächst einmal gibt es nur die im sozialistischen Geist eingespielte Single „Susanne zur Freiheit“. Sie enthält neben Propaganda und Hörspiel-Gimmicks das Beste vom Fischmob-Anrufbeantworter. „Anläßlich dieser flashigen Situation“ veranstaltet die Band ein kleines Gewinnspiel. Wer die Frage beantwortet, wie lange Bobby, der Meisterrülpser, rülpsen kann, erhält einen tollen Preis. 1. Mit Fischmob im Hansapark inklusive ganz lange aufbleiben, Videogucken und Chipsessen. 2. Fischmob reden mit deinen Eltern über dich und deine Zukunft. 3. Ein paar lange Unterhosen von Sven Francisco. Interessierte und Russen schreiben an: Fischmob, Große Johannisstraße 13, 20457 Hamburg.

Das war jetzt kindisch, was? Aber schon wird's wieder ernst. Die niederländische Zentralbank wird dem Staat im kommenden Jahr umgerechnet rund 100 Millionen Mark für den Kauf von Kunstwerken zur Verfügung stellen. Wie ein Sprecher der Bank am Dienstag bestätigte, ist die „Schenkung“ eine Geste zum Abschied vom Gulden im Zusammenhang mit der Einführung des Euro. Die Zentralbank überweist den Betrag an den „Nationalen Fonds Kunstbesitz“. Die Kunstwerke werden dann Eigentum des Staates. Das Geld stammt aus dem Gewinn der Zentralbank, der sonst als Rücklage einbehalten wird.

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