piwik no script img

Angst vor einem Verschwinden der Geschichte

■ Gedenkprofis ist die Vorstellung, das Erinnern an das Massenmorden der Nazis vom „authentischen Ort“ ins Museum zu verpflanzen, unerträglich: „Das ist wie künstlich arrangiert“

Hans-Jürgen Häßler ist engagiert. Immer schon gewesen. Das ist einerseits bewundernswert, macht es aber andererseits manchmal anstrengend, dem Gründer der „Stiftung Deutsches Holocaust-Museum“ zuzuhören.

Wenn Häßler den Zweck seines geplanten Museums erläutern soll, spricht er viel von Aufklärung. Er beginnt bei der Aufklärung über den Holocaust. Und wenn er sich in Fahrt redet, wandert er von Hiroshima und Nagasaki („Was waren die Motive?!“) über die Geschichte und Strukturen von Gewalt bis zum Rechtsextremismus und einer Fernsehsendung, in der Skinheads auftraten. „Die sitzen da rum und dürfen über Mordpläne reden. Das ist für sich schon ein Skandal, da muß man aufklären!“ Und nach einem Moment des Innehaltens: „Aber die Shoah ist der Mittelpunkt, das geht gar nicht anders.“

Als Zuhörer kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, daß es vielleicht tatsächlich ein bißchen viel ist, was Herr Häßler mit seinem Museum in Zukunft alles aufklären will. Auch wenn es durchaus seine Logik hat, denn Hans- Jürgen Häßler sieht seine Arbeit in der Kontinuität der Friedensbewegung, wo der heute 60jährige einst aktiv war. Und wohl deshalb hat er seiner Stiftung den Untertitel „Lern- und Forschungsstätte für Frieden und Humanität“ beigegeben.

Wahrscheinlich liegt man nicht ganz falsch mit der Annahme, es sei gerade der moralische Impetus in Häßlers Wortwahl wie Wortschwall, der seine Gegner mißtrauisch stimmt. Die Kritiker eines Holocaust-Museums kommen vor allem aus den Reihen der KZ-Gedenkstätten.

Mit Häßlers Wunsch, die Welt zu verbessern, können die wenig anfangen. Ihr Arbeitsfeld nennen sie „NS-Gedenkstättenlandschaft“, und man kann sie sich tatsächlich ein wenig wie Landschaftspfleger vorstellen, die jeden Winkel ihres Ackers kennen. Sie betreiben seit Jahren das Nachdenken über den Holocaust sowie das Nachdenken über das Nachdenken – kurz gesagt, sie sind Profis des Holocaust-Gedenkens.

An ihrer Kritik am Holocaust- Museum fällt darum zuerst einmal die gedankliche Präzision ihrer Einwände auf. Ein „Verschwinden der Geschichte im Vergleich“ befürchtet etwa Thomas Lutz, der Geschäftsführer der Arbeitsgemeinschaft der KZ-Gedenkstätten, falls das Museum tatsächlich Aufklärung vom Holocaust bis Hiroshima betreibe.

Und in fein ziselierten Sätzen erklärt der Historiker Thomas Rahe von der Gedenkstätte Bergen-Belsen, warum der Schrecken der Shoah eine „Derealisierung und Entkonkretisierung“ erfahre, wenn man ihn vom „authentischen Ort“ der früheren KZ in den „artifiziellen Ort“ eines Museumsneubaus überführe.

Im Streit um die Frage, ob ein Holocaust-Museum sinnvoll sei, spielt Rahes Einwand eine zentrale Rolle. Die Vertreter der KZ- Gedenkstätten verstehen sich unter anderem als eine Art Gralshüter von Totenstätten. „Alle Simulation und Inszenierung wäre hier peinlich“, sagt Horst Seferens, zuständig für die ehemaligen KZ Sachsenhausen und Ravensbrück. Entsprechend unerträglich ist ihnen die Vorstellung, das Erinnern an das Massenmorden der Nazis in ein Museum zu verpflanzen. „Es erscheint wie künstlich arrangiert“, meint Historiker Rahe.

Häßler hat für solche Einwände inzwischen nur ein Schulterzucken übrig: „Das ist für mich eine Tragik, daß sich die Gedenkstätten dagegenstellen.“ Zusammenkommen werden der leidenschaftliche Amateur Hans-Jürgen Häßler und die reflektierenden Profis des Gedenkens wohl nicht. Zu verschieden sind ihre Wege, sich dem Holocaust anzunähern.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen