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Fall von Berufsverweigerung

■ „Der Geschmack der Kirsche“: Roadmovie und Geröll-Etüde des iranischen Ausnahmeregisseurs Abbas Kiarostami im Cinema

Kiarostamis Neuer ist wie Yves Klein; ein schöner Film für Puristen und Buddhisten. – Moment mal, Kirschen sind doch knallerot und nicht blau? – Ja schon, aber der Film ist fast so monochrom wie Yves Klein. Nicht rot, nicht blau, aber wüstenbeige. Und auch Thema und Inhalt sind minimalistisch: ein Mann ohne Eigenschaften und Geschichte – beige Hose, hellbrauner Pulli – fährt in einem Fossil von einem Range Rover – beiger Lack – durch die Außenbezirke von Tehe-ran – fast einen ganzen Film lang. Aufgrund von Dürre und Baggerarbeiten (Kritik an ökologisch desaströsem Tagebau??) ist auch das Farbspektrum dieser hügeligen Mondlandschaft eingezwängt in den winzig kleinen Farbkreis-Ausschnitt zwischen schlammbraun und goldgelb – zwei grundverschiedene Farbcharaktere, die aber physikalisch verdammt nah nebeneinander schwingen.

Das paßt zur Stimmung unseres Mannes. Die ist trist und wir erfahren nicht warum. Aber ein paar Momente lang deutet sich – nervöses Füßetappeln hin und zurück – ein Umkippen an. Nämlich dann, wenn unser Trauerkloß Herr Badii einem alten Mann lauscht. Der erzählt von Kirschen, Kindern, Sonnenaufgängen und reinem Quellwasser, da die trockene Gurgel hinunterrinnt; doch all diesen bunten materialisierten Lebenssinn bekommt der Zuschauer niemals zu sehen. Und so ist der Film – auch – eine Studie über die Kraft der Imaginatation. Aber auch über deren Versagen. Denn am Ende des Films bringt sich Herr Badii – vermutlich – um.

Sein Grab hat er sich schon vor Filmbeginn geschaufelt. Doch erst kurz vor Schluß findet er jemanden, der es nach seinem Tod zuschüttet. Denn Beihilfe zum Selbstmord ist im Islam und im Iran eine Todsünde. Und so lösen sich Männer der unterschiedlichsten Art auf Badiis Beifahrersitz ab. Badiis Überredungstaktik ist ungeschickt. Er quetscht die Leute aus und erfährt wenig. Er gibt nichts von sich preis und versackt in Allgemeinplätzen. Manche halten ihn gar für einen schwulen Lustmolch. Auch die Kamera dringt nicht vor ins Zentrum der Trauer. Badiis Gesicht prangt statisch im Zentrum der Leinwand, meist im Profil wie auf einem offiziöses Paß- oder Verbrecherfoto. Bei vielen Dialogszenen schwebt die Kamera adlergleich in distanzierten Höhen über dem Geländewagen. Und das Schlucken der Tabletten erahnt sie nur aus großer Entfernung durch Gardinen hindurch. Ein klassischer Fall von Berufsverweigerung eines Regisseurs.

Die vielen Lücken in der Geschichte lassen Raum fürs Sehen. Und bald entdeckt der Zuschauer: staubige Straßen und verschlossene Menschen können sehr sehr liebenswert sein. Auch in der Realität jenseits des Kinosaals fährt man schließlich die immer gleichen Wege, glotzt in die ewig unveränderten Gesichter – ohne Selbstmord zu machen.

Am Ende gibt es für Herrn Badii übrigens ein echtes Leben nach dem Tod. Er wiederaufersteht in einer Filmdrehszene: Abbas Kirostami, der Meister der Film-im-Film-Szenen, dreht gerade einen Film mit dem Titel: „Der Geschmack der Kirsche“.

Aber es ist Frühling. Die Bilder sind grobkörnig, flüchtig, unpathetisch; normales – lebenswertes? – Leben eben. Und sie sind grün, manchmal auch blau, fast wie bei Yves Klein. bk

Täglich 19 Uhr im Cinema

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