■ Warum Deutschland kein zentrales Holocaust-Museum braucht: Von Amerika lernen?
Ein zentrales Holocaust-Museum scheint derzeit ein attraktive Idee zu sein – die Liste der Unterstützer von Däubler-Gmelin über Grass bis Küng zeigt es. Das Museum scheint leisten zu können, was das Mahnmal verspricht, ohne dessen Mangel zu teilen. Ein Museum könnte jene Aufklärung bieten, die dem Mahnmal fehlt – und gleichzeitig wäre es ein vorzeigbarer Ort: eine nationale Gedenkstätte. Doch schon der Zentralismus, der hinter diesem Wunsch steckt, fügt sich in die unerfreulicheren Traditionen deutscher Geschichte.
Der wesentlichste Antrieb der Befürworter ist wohl der Wunsch, dem amerikanischen Vorbild nachzueifern. So versucht das populäre Washingtoner Holocaust Memorial Museum die Vernichtung der Juden als indivduelle Erfahrung zu inszenieren: Jeder Besucher erhält Foto und Lebenslauf eines Opfers. Das Washingtoner Museum macht Geschichte nachvollziehbar; visuell eingängig und reibungslos aufbereitet, auf neuestem didaktischem Stand. Auch einen Ofenschlot hat man nachgebaut, um Historie anschaulich zu vergegenwärtigen. So etwas Ähnliches hätte man auch gern hierzulande.
Doch was in den USA Sinn macht, wäre hier absurd: eine Nachahmung historischer Stätten, die um die Ecke liegen. Wozu braucht man zum Beispiel in Berlin jenseits des Hauses der Wannsee-Konferenz und der Folterkeller der Gestapo ein solches Museum? Warum soll man die Orte des Terrors durch ein Museum beiseite drängen, das die Schrecken der Vergangenheit gewiß konsumentenfreundlicher präsentieren würde als jene KZ-Gedenkstätten?
Das Washingtoner Museum zeigt den Holocaust zudem als eine „universale Warnung gegen antidemokratische Strömungen“ (James Young). Diese museale Inszenierung betont die universellen Lehren, die die Menschheit aus der Vernichtung der Juden ziehen sollte: für Freiheit und Menschenrechte, gegen Intoleranz und Borniertheit. In den USA mag dieses Konzept einleuchten – in Deutschland wäre es eine Flucht ins Allgemeine, Ungefähre, Unverbindliche.
Ein zentrales Holocaust-Museum würde eine Entkoppelung der Erinnerung von den konkreten Orten und damit eine Virtualisierung des Gedenkens befördern. Der starre Blick auf die USA verrät zudem nicht nur den etwas kruden Wunsch, hierzulande einen pädagogischen Lernort auf Weltniveau zu etablieren. Hinter dem Wunsch, es den USA gleichzutun, verbirgt sich auch der stille Wunsch nach der Identifizierung mit dem Guten. Imitation ist ein verführerischer und falscher Weg deutscher Erinnerungspolitik. Stefan Reinecke
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