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Bremen schreibt Rechtschreibung klein

■ Gerade mal 22 von rund 40.000 Behördenmitarbeitern können sich dieses Jahr in der senatorischen Fortbildungsstelle noch in „neuer Rechtschreibung“ schulen lassen.

Bremens ABC-Schützen werden wohl die einzigen BremerInnen bleiben, die Ende des Jahres auf dem neuesten Stand der deutschen Schriftsprache sind.

Zumindest im Bremer Senat wird die „Neue Rechtschreibung“ derzeit fast wie eine geheime Verschlußsache behandelt. „Wir sind präventiv tätig“, so der Sprecher der Senatskommission für das Personalwesen (SKP), aber, „nein“: Details wolle man nicht nennen.

Doch langsam wird's Zeit: Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts, das die Rechtschreibereform endgültig für rechtens erklärt hat, ist inzwischen schon ein paar Wochen alt und am 9. September soll die Bremer Deputation für den öffentlichen Dienst beschließen, was durch das Gerichtsurteil im Grunde längst feststeht: Auch die Menschen in den Bremer Behörden müssen wieder pauken.

Fragt sich nur, wie lange sie damit noch warten müssen. Denn immerhin geht es um rund 40.000 potentielle Schüler – das ist auch für die Fort- und Weiterbildungsstelle der SKP kein Pappenstiel. Zwar könne man sich notfalls auf „flächendeckende“ Schulungskurse einrichten, heißt es hier; zur Zeit aber habe es gerade mal achtzig Schüler gegeben und einen einzigen Lehrer. Der biete einen siebenstündigen Einführungskurs und einen Vertiefungskurs an: „Die Nachfrage war groß“, so ein SKP-Mitarbeiter. Sie könnte noch größer werden, wenn im Herbst die ersten Briefe aus den niedersächsischen Behörden eintrudeln – dort werden schon heute „die bismarckschen Sozialgesetze“ „klein gedruckt“ – auch wenn sich dieser dafür noch so große Meriten verdiente.

Das SKP-Unterrichtsangebot nämlich ist klein: Der nächste Kursus für maximal 22 Schüler steht erst wieder im November an. Das war's dann 1998. Außerdem habe sich da jetzt noch eine eigene Abteilung der Sache angenommen, so Behördensprecher Diehl – aber: „Über interne Abläufe“ wolle er sich ja nicht äußern.

So müssen die restlichen 39.900 Mitarbeiter in den Behörden jetzt wohl erstmal auf das Wissen ihrer Kinder zurückgreifen. Denn auch mit anderen Unterrichtsangeboten, sieht's mau aus. Das Arbeiterbildungszentrum der Arbeiterkammer plant „im Jahresthythmus“ – „mein Kollege aus dem Kulturbereich hat da sicherlich was im Hinterkopf“, so die sehr freundliche Auskunft. Und auch in der Wirtschafts- und Sozialakademie der Angestelltenkammer heißt es: „Ich guck' mal eben... Kein Angebot, nein.“ Aber imerhin: Das Herbstprogramm für 1999 wolle man schon mal in der neuen Rechtschreibung verfassen.

So scheint, wer sich auf das nicht ganz „unaufwändige“ Abenteuer künftiger „Fußballländerspiele“ oder gar „Schlammmassen“ einlassen will, in Bremen allein bei der Volkshochschule (VHS) fündig zu werden. Doch schnell zugegriffen! Auch die VHS biete nur einen Extrakurs „Die neuen Rechtschreiberegeln“ an: am Samstag, den 31. Oktober in einem achtstündigen Blockseminar.

Oder man wird zum Autodidakten, wie Peter Hornbeck, der Öffentlichkeitsarbeiter der Bremer Stadtbüchereien. „Wenn ich meine eigenen Texte lese, dann denke ich, da ist doch was falsch“, beschreibt er sein Lebensgefühl im Zeitalter des neudeutschen Briefverkehrs. Auf seinem Schreibtisch stapeln sich die Zeitungsartikel zum Thema; da schlägt er im Zweifel nach. Oder eben im neuen Duden. Nein, von der SKP habe auch er noch nichts gehört: „Da gibt es bei uns nichts Offizielles.“ ritz

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