: Was ist die Bundesliga wert?
Während sich die führenden Ligen Europas weiter modernisieren, droht der angeblich wirtschaftlich boomenden Bundesliga ein sportliches Schicksal wie das von Berti Vogts: im trotzigen Beharren auf nationale Tugenden alle Qualität zu verlieren. Von deutschem Fußball vor dem Beginn der 36. Bundesligasaison, hier gebührend ernst diskutiert ■ von Peter Unfried
Ach du meine Güte. Was ist hier? Die Rede von Fußball, deutschem Fußball. Nein, nein, nein: Die Rede ist nicht von der Bundesliga als Trashfaktor, kein Wort wird verloren werden über doofe Liberi, rauchende Spieler, dicke Sympathieträger, stechende Augen, radebrechende Philosophen. Das ist doch alles Kokolores.
Es geht bloß um Fußball.
Noch jemand da? Trotzdem: Seit gestern abend herrscht wieder Bundesliga. Im 36. Jahr zahlt das Fernsehen soviel wie nie, überträgt mehr denn je, sind die Stadien voll, haben die Klubs 115 Millionen Mark für neue Profis ausgegeben usw. usf.
Was ist mit dem Fußball? Dazu ist zunächst folgendes zu sagen:
Erstens: Die Bundesliga ist die heilige Mutterkuh, aus der alles deutsche Fußballeben kommt.
Zweitens: Die Bundesliga ist aber nicht mehr so autark wie dereinst. Das liegt an der veränderten Medienlandschaft und einem internationalisierten Markt. Wenn die Europaliga da ist, wird die Bundesliga sich umgucken.
Drittens: Der deutsche Fußball gehört nicht zu den Besten, das hat soeben der Vergleich mit anderen Fußbällen zweifelsfrei und statistisch nachweisbar ergeben. „Vier bis acht Länder waren bei der WM besser als wir“, sagt Olaf Thon, der dafür am wenigsten kann und neuerdings Exnationalspieler ist.
Viertens: Wie der DFB hat auch die Bundesliga nicht die besten Spieler. Bloß die besten deutschen Profis. Das heißt: Nicht einmal das. Den besten hat sie nicht. Oliver Bierhoff spielt ja beim AC Mailand. Wer nicht glaubt, daß Bierhoff der Beste ist, ist sehr wahrscheinlich vom Standortnachteil Fernseher geprägt. Dietmar Hamann ist auch weg.
Fünftens: Die Besten der Bundesliga sind immer noch, sagen wir mal, Olaf Thon, Stefan Effenberg, Krassimir Balakov, Giovane Elber, Thomas Helmer, Thomas Häßler und auch – nein, keine Widerrede – Andreas Möller. Keiner hat sich bei der WM durchgesetzt.
Was folgt daraus?
Thons Scheitern beruhte auf dem Irrtum eines Trainers – der, als es darauf ankam, seinen neben Bierhoff internationalsten Fußballer und dessen Qualitäten aussortierte –, mit einem Dinosaurier und einem Beharren auf nationale Qualitäten überleben zu können. Helmer war und ist nicht fit. Krassimir Balakov steht für einen im wahrsten Sinne des Wortes überholten Fußball, den bulgarischen Individualismus. Giovane Elber war dem brasilianischen Trainer Mario Zagallo erst gar nicht gut genug, um nach Frankreich zu dürfen.
Was ist mit Stefan Effenberg? Der kam, wie auch Möller und Häßler, halbgescheitert aus Italien zurück und verbrachte danach seine besten Jahre damit, sich in der Provinz mit Nebensächlichkeiten aufzureiben. Effenberg kann Fußball spielen, ist aber ein Auslaufmodell – ein Mann, dessen Streben nach den großen Gesten hin und wieder seine und auch eine Sehnsucht des Publikums befriedigt.
Thon und Effenberg galten Anfang des Jahrzehnts als große deutsche Talente, gingen zu Bayern München, waren dort Antipoden und zogen sich dann mehr oder weniger gescheitert zurück in die Provinz. Der eine, Thon, war eine Art Spielmacher und Dribbler, veränderte Arbeitsauffassung und Stil, paßte sie den modernen, internationalen Gegebenheiten des Spiels an, führte das am Boden liegende Schalke mit etwas Glück und viel System zu internationalem Erfolg.
Der andere, Effenberg, entwickelte sich umgekehrt vom defensiven Rackerer zum Ballmonopolisten, verpuffte mit der ambitionierten Borussia aus Mönchengladbach höchst effektvoll und vermied nur mit größtem Glück Borussias nationales Ende, den Bundesligaabstieg.
Nun steht Thon, eigentlich veritabler Held eines Entwicklungsromans, scheinbar geschlagen und erniedrigt da. Effenberg, der auf der Stelle verharrte, gilt zumindest für den Augenblick als der Retter des Bundesligisten Bayern München und (damit) des deutschen Fußballs.
Das kann nichts Gutes heißen. Was heißt es Schlechtes?
Effenberg ist ein herausragender deutscher Fußballer – und herausragender Bundesligaprofi. Ein Weltklassefußballer ist er (im Moment) nicht. Dazu nämlich müßte er seinen Stil internationalisieren, das heißt: Er müßte abspecken, rationaler und rationeller, also wie Thon werden. Diese Entwicklung mag man bedauern, sie ist aber kaum zu ändern: Der internationale Hochgeschwindigkeitsfußball huldigt dem Gott Tempo. Es gibt keine Gegenposition: Wer nicht mitrennt oder nicht mitkommt, bleibt auf der Strecke.
Selbst wenn Effenberg die Bayern oder gar ein rejuvenilisierter Matthias Sammer Borussia Dortmund zu einer grandiosen Meisterschaft führen würde – international gilt, was Thon und sein niederländischer (!) Trainer Huub Stevens längst kapiert haben: Ein Mann allein kann nicht mehr alles. (Wenn nicht Ausnahmezustand ist und er Michael Owen heißt.) Individualisten mit Tendenz zu Ballbesitz wie Thomas Häßler und Andreas Möller können sich in der Bundesliga noch durchsetzen, auf internationalem, auf WM-Niveau konnten sie das, alleingelassen wie sie waren, nicht mehr.
Dennoch war der Fußball bei der WM viel besser, als ihn sich nicht nur Berti Vogts, sondern auch taz-Fußballkorrespondenten vorstellen konnten, die zuvor hauptsächlich deutschen Fußball gesehen und fälschlich angenommen hatten, er reflektiere den Spitzenfußball in Anbetracht der Zwänge der Zeit. Erfolgreicher Fußball muß zwar Teamfußball sein, muß aus einer Aneinanderreihung mehrerer Aktionen individueller Klasse in Höchstgeschwindigkeit bestehen, aber das kann auch schön sein.
„Ich bin überzeugt“, sagte aber unbeirrt Bayern-Trainer Ottmar Hitzfeld dem Fußballmagazin Hattrick, „daß in Deutschland das Ergebnis zehnmal wichtiger ist als die Spielweise“. Das mag für ihn gelten, sowie für andere sehr auf einen Klub Fixierte. Und natürlich für alle, die Fußball – absichtlich oder nicht – mit Fernsehfußball verwechseln. Ein 3:1 ist tatsächlich wie das andere, ob in der Tabelle oder bei „ran“. Und wenn man eh nie hingeht, tut es wenig zur Sache, was für eine Art Fußball letztlich im Stadion gespielt wurde. Bei vielen, die die WM im positiven (Holland) und negativen (Vogts) intensiv an sich herangelassen haben, ist aber ein Bedürfnis nach Fußball mit Niveau und Stil entstanden – auf und neben dem Platz.
Bei allem Antagonismus zu Berti Vogts arbeiten aber die Bundesligavereine zudem häufig noch in der Annahme, der deutsche Fußball habe à priori Weltniveau und definiere sich nicht über Leistung, sondern über die Leistungsbereitschaft (“deutsche Tugenden“).
Natürlich kann man nicht einfach sagen, die Bundesliga fabriziere schlechten Fußball. Es gibt, sagt nicht nur Hitzfeld, „immer noch ein sehr großes Potential an guten Spielern“. Die spielen in der Regel bei Bayern München. Nationale Klasse können die Branchenführer simpel kaufen. Innovativ und kreativ ist die Liga derweil dort, wo das Geld fehlt – in Freiburg, in Rostock, in Bochum.
Es ist nur so, daß die besten Spieler der Welt in Spanien, Italien und England spielen. Natürlich auch nur in wenigen Teams. Doch die haben ihren Fußball und damit auch ihre nationale Liga internationalisiert. Europas Spitzenfußball außerhalb Deutschlands ist aus den bekannten Gründen im Zustand permanenter Entwicklung. Der beste Fußball wird von Unternehmen gespielt, in denen sich Geld und Wille zur Modernität finden, wo sich die individuellen Qualitäten und die nationale Fußballschule von Profis aus aller Welt addieren. Diese Unternehmen arbeiten schlicht gezielt auf das Jahr 2000 und die Europaliga hin. Der Bundesligakunde kann entweder akzeptieren, nur noch zweiter Klasse zu fahren – oder er wird sich dorthin umorientieren müssen.
Die Bundesliga hat zwar jede Menge ausländische Arbeitnehmer, wirklich prägen läßt sie sich davon nicht. Ein Grund ist natürlich: Sie kann sich die Besten nicht leisten. Andererseits spielt der französische Weltklassespieler Bixente Lizarazu zwar bei Bayern – aber nur wenn er schön unauffällig mitrennt.
Im Europapokalfinale hatte der VfB Stuttgart nur das Auslaufmodell Balakov zu bieten – natürlich gewann das französisch-italienisch geprägte Team von Chelsea London. Das sehr deutsche Borussia Dortmund war gegen Real Madrid chancenlos, obwohl man noch im Jahr zuvor die vermeintlich Besten, Juventus Turin, überwältigt hatte. Zufall oder mehr? Rehhagels vermutliches Scheitern mit dem 1. FC Kaiserslautern in der Champions League wird ein weiteres Indiz sein für die (im Vergleich) sportliche Regression der nationalen Liga.
Die erfolgreichsten Teams 1998 waren tatsächlich jene, welche die Begrenztheit eines nationalen Stils am weitesten überwunden hatten: Frankreich, Brasilien, Niederlande, Real Madrid, Chelsea.
Die spektakulärsten WM-Schadensfälle waren nicht zufällig: Deutschland, das deutsch spielte, und Italien, das sich im Gegensatz zu seiner Serie A auf das Italienische reduziert hatte. Womit man nochmals beim Stürmer Oliver Bierhoff ist. Der Unterschied zwischen ihm und anderen deutschen Nationalspielern scheint manchmal nur marginal – ist aber eigentlich von entscheidender Natur: Bierhoff ist, mehr noch als Thon, ein internationaler Fußballer. Warum? Weil er seit Jahren nicht mehr in der Bundesliga spielt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen