: Kunstrasenfrischer Atem der 50er
■ Vor lauter Originalen kaum Platz für Originalität: Die „West Side Story“ in der Urfassung von 1957 zu Gast im Schauspielhaus
Sicher, die West Side Story ist heute so tragisch wie vor 41 oder auch 400 Jahren: Die erste Liebe zweier junger Menschen scheitert, als sie sich roher und sinnloser Jugendgewalt in den Weg zu stellen versucht.
Sicher ist auch, daß seit Donnerstag im Schauspielhaus ein Klassiker zu sehen ist. Tony und Marias Geschichte in der Uraufführungsfassung von 1957, frei nach Shakespeare beschrieben von Arthur Laurents. Mit der Originalmusik von Leonard Bernstein, mit der ein 16köpfiges Orchester in einem beeindruckend guten Sound den Raum füllt. Mit den Liedern von Stephen Sondheim, die sich um das Prädikat „unvergeßliche Melodien“ nicht mehr bewerben müssen. Und mit der Originalchoreographie von Jerome Robbins, die Regisseur Alan Johnson autorisierterweise wiederauferstehen ließ. Bis zu den Barbie-Kostümen der jungen Damen (Randy Barcelo) und den teilweise arg puppenstubenartigen Kulissen (Campbell Baird) weht der kunstrasenfrische Atem der späten amerikanischen fünfziger Jahre über die Bühne – großgeschriebene Authentizität, die vor lauter Originalen kaum Platz für Originalität läßt. Aber das war ja auch gar nicht beabsichtigt.
Vielmehr sollte wohl in einer Art lebendem Museum gezeigt werden, daß eines der berühmtesten Musicals aller Zeiten nichts von seiner Faszination verloren hat. Und dank des Ensembles gelingt dies auch. Mit 18 bis 23 Jahren gehört es der Generation an, der die West Side Story von Rechts wegen gehören sollte. Max von Essen (Tony) und Natasha Harper (Maria) führen mit angemessenem Pathos vor, wie der Liebesblitz in sie hineinfährt. Vor allem sind es aber die dynamischen Massenszenen, die den Zuckerguß mühelos aufschmelzen. Die Rivalität der Gangs ist altersadäquates Gockelgehabe, und die getanzten Kämpfe wirken so natürlich, daß man sich fragt, warum die Jungs eigentlich zwischendurch in die Luft hüpfen müssen. War das in den Fünfzigern bei Gangkriegen üblich?
Üblich war mit Sicherheit das fraglose Einfügen in den vorgezeichneten Lebenslauf: sich ein bißchen austoben und dann ab zum Traualtar. Das heute zu sehen wirkt etwa so, als würde man den eigenen Eltern heimlich beim Liebeswerben zuschauen. Irgendwie unanständig.
Barbora Paluskova
bis zum 13. September, Schauspielhaus
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen