: „Mißverständnis in gereizter Stimmung“
■ Psychisch Kranker trotz schizophrener Störung aus Klinik entlassen, weil er zu laut und aufmüpfig war. Neun Tage später zertrümmerte er zu Hause seiner Vermieterin den Schädel
Der 39jährige Mann, der in der Nacht zum 26. Dezember des vergangenen Jahres seiner Vermieterin mit einer Bratpfanne den Schädel zertrümmert und sie lebensgefährlich verletzt hat (die taz berichtete), wird auf unbestimmte Zeit in der geschlossenen psychiatrischen Abteilung des Zentralkrankenhauses-Ost untergebracht. Das hat das Landgericht gestern entschieden. Der Mann, der in einem religiösen Wahn gehandelt hat, gilt auf Grundlage zweier Gutachter als schuldunfähig.
Die Frage, ob der Überfall möglicherweise hätte verhindert werden können, wenn die Schwere seiner psychischen Erkrankung früher erkannt worden wäre, stellte gestern auch das Gericht. Elf Monate vor der Tat, im Januar 1997, hatte ein Arzt des ZKH-Ost bereits eine schizophrene Persönlichkeitsstörung diagnostiziert. Der Patient wurde trotzdem entlassen. Grund: Er war zu laut.
Neun Tage vor dem brutalen Überfall auf seine Vermieterin, war er wegen Selbstmordgefahr in Behandlung. Am nächsten Tag wurde der Mann wieder entlassen. Der Patient habe „seine Symptome nicht mitteilen können“, begründete Dr. Lothar Rödszus, der psychiatrische Gutachter vom ZKH-Ost, die Entlassung gestern vor Gericht. In der „gereizten Stimmung“ sei es zu „Mißverständnissen“ gekommen.
Insgesamt 42 mal war der Mann in den vergangenen 14 Jahren als Patient im ZKH-Ost. Im Alter von 19 Jahren war er eigenen Angaben zufolge von seinem Cousin mehrfach vergewaltigt worden. Er entwickelte Schuldgefühle, studierte die Bibel und widmete sich exessiv dem Thema „Versündigung“. Er steigerte sich laut Gutachten in den religiösen Wahn hinein, das Böse vernichten zu müssen. Zum Tatzeitpunkt, sah er in seiner Vermieterin eine Hexe, die er, „der Rabbi“, umbringen müsse.
Es sei „erschreckend“ und „nicht nachvollziehbar“ warum die Schwere der psychischen Erkrankung trotz der jahrelangen Behandlungen nicht erkannt worden ist, hakte die Vorsitzende Richterin, Hilka Robrecht, nach. Das sei „wohl mehr eine rhetorische Frage“, die „ich vielleicht mal unbeantwortet lassen will“, wich Gutachter Rödszus aus. Auch der Anwalt des Angeklagten, Matthias Koch, konnte „nicht verstehen“, warum die Ärzte den Ernst der Lage seines Mandanten nicht früher erkannt hatten. Schließlich hätten „Fachleute“ seinem Mandanten „gegenübergesessen“. Und die hätten „schon eher genauer hinsehen müssen“, kritisierte Koch.
„Wir können nicht immer wissen, was passiert“, räumte Chefarzt Dr. Peter Kruckenberg auf Nachfrage der taz ein. Der Mann sei seit Jahren bekannt und auch vom Sozialpsychiatrischen Dienst sorgfältig betreut worden. Dennoch hätten Ärzte, Psychologen und Sozialarbeiter aufgrund der Krankengeschichte nicht ahnen können, daß sich die Krise des Patienten so zuspitzen würde. „Das war eine schlichte Fehleinschätzung“, so Krukenberg. Auch der sozialpsychiatrische Dienst hatte die Situation verkannt. Zwei Tage vor der Tat hatte sich die Tochter des Opfer an den Dienst gewandt, nachdem sich der Mann nächtelang mit einem imaginären Handy unterhalten hatte. „Ihre Mutter braucht keine Angst zu haben“, beruhigte ein Sozialarbeiter die Frau.
Offenbar seien die Symptome bei dem Patienten „gering ausgeprägt“ gewesen und deshalb „in ihrer Schwere nicht erkannt worden“, urteilten die Richter.
Kerstin Schneider
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