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Tänzer und Körper allein zu Haus

Introspektion und Bewegungsforschung: Angesichts des Umbruchs sozialer Strukturen sind die Solo-Performer Urs Dietrich und Emio Greco beim „Tanz im August“ auf der Suche nach neuen Identitäten  ■ Von Katrin Bettina Müller

Von der wachsenden Panik dessen, der nur noch sich selbst beobachtet, handelt Urs Dietrichs „An der Grenze des Tages“. Nach jedem Ausbruch hört er sein Herz ab. So korrekt gekleidet kommt der Tänzer und Choreograph aus Bremen auf die Bühne, daß manchmal allein die aus dem Jackett-Ärmel hervorflatternde Hand bestürzend nackt scheint. Etwas Hölzernes und Mechanisches läßt seine Bewegungen wie die Ausführung eines vor langer Zeit trainierten Programms erscheinen, dessen Sinn und Zusammenhang längst abhanden gekommen ist. Exakt bemessen wirken die Drehungen des Kopfes und die Zirkelschläge der Beine. Dazwischen kippelt er mit dem Stuhl bis zum Fall und federt, am Boden liegend, mit dem Arsch wie batteriebetrieben. Ein harmonischer Bewegungsfluß aber entwickelt sich nie aus diesen abgesetzten Fragmenten zwischen beklemmender Genauigkeit und peinlicher Entgleisung.

Irgendwann verfällt Urs Dietrich in ein lautmalerisches Plappern, verwickelt unsichtbare Gegner in Bekenntnisse und Beschimpfungen. Wer kennt nicht diese infantile Allmachtsphantasie, es den anderen einmal ordentlich zu zeigen? Von ihr haben die Komiker des Films schon immer gezehrt. Als Solo-Performance aber bleibt diese Charakterstudie eines Mannes, der äußere Zwänge bis zur Selbstaufgabe verinnerlicht hat, etwas mager und leicht verstaubt.

Solomania: Das Programm, das im „Tanz im August“ zehn Solos vorstellt, fordert den Zuschauer zu einer nicht immer einfachen Auseinandersetzung mit den Performern. Um den Verlust von verbindlichen Beziehungen und die Folgen des Single-Lebens geht es dabei vordergründig nicht; dennoch scheint das Interesse der Künstler an einer neuerlichen Identitätsbefragung kein Zufall angesichts des Umbruchs sozialer Strukturen.

Anders als in dem pantomimischen Tanztheater von Urs Dietrich, der seine Figur psychologisch ausleuchtet, geht es dem Italiener Emio Greco um Bewegungsforschung. Er war unzufrieden mit der Art, wie Tanz „mißbraucht wird, um Situationen zu erklären, etwas anderes auszudrücken; als sei der Tanz eine dumme Kunst, die nicht so wie Musik oder Theater ihre eigenen intelligenten Reflexionsformen hervorbringen kann“. Er will beweisen, daß der Körper nur mit seinen Bewegungen eine eigene Dimension erschaffen kann, ohne theatralische Hilfsmittel.

Sein erstes Solo, „Bianco“, begann er aus dem Nichts. „Warum bewege ich mich, welche Quelle inspiriert mich? Für diese Fragen wollte ich mir Zeit geben.“ „Bianco“ war die Niederschrift seines neuen Alphabets, mit dem er dann in „Rosso“ eine Sprache zu bilden begann. Im geplanten 3. Teil soll auf dieser Basis wieder ein Dialog entstehen.

Doch es bleibt fraglich, ob man bei der Reise nach innen und der Suche nach den ursprünglichen Impulsen der Bewegung nicht einer Fiktion von Identität aufsitzt, konstituiert sich das Subjekt doch immer erst im Verhältnis zu anderen. Greco möchte bei seiner Analyse der Bewegungsmotivation an einen Punkt noch vor der sozialen Definition der Identität ansetzen. Der Einfluß und der Druck, die von außen kommen, verstärkten für ihn die Notwendigkeit, sich in der Arbeit zu isolieren. Historisch verortet sind seine Solos trotzdem, denn das Bedürfnis, vom Heute frei zu sein, sieht er als ein Produkt der Gegenwart.

Die einzige Beziehung, die es gibt, ist die zum Publikum, und die ist sehr fragil. „Ich spüre die Gefahr, aus dem Dialog mit dem Publikum herauszufallen. Für manche Situationen finde ich die Lösung erst in der Performance, in welcher Weise ich wachse, wie die Musik eingreift.“ Daß er diese Entscheidungen auf sich allein gestellt vor aller Augen treffen muß, erzeugt die Anspannung, die auch die Zuschauer ergreift.

Daß sich Tänzer in der Solo-Arbeit von der Handschrift anderer Choreographen befreien wollen, gibt es oft, aber selten so konsequent wie bei Emio Greco, findet Ulriker Becker von der Tanzwerkstatt, die zu Solomania zusammen mit André Theriault eingeladen hat.

Im weiteren Programm geht es den Solisten um ganz andere Geschichten. In „Körperchen, Körperchen an der Wand...“, das Jan Fabre für Wim Vandekeybus geschrieben hat, führt uns ein Monolog (in flämisch! deutsche Lesung vorher) durch eine Art anatomisches Museum, in dem man Körperbildern aus unterschiedlichen historischen Epochen begegnet. Statt nach Authentizität zu suchen werden vielmehr Projektionen und Ängste befragt.

Solomania: Urs Dietrich, 15.8., Hebbel-Theater, 20.30 Uhr. Emio Greco, 18. und 19.8. in den Sophiensälen, 21 Uhr. Vandekeybus/ Fabre, 15.8. Podewil, 20 Uhr

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