: Freiburg führt Bundesliga an
Der taz-Test zum Bundesligastart ermittelt für den Aufsteiger den niedrigsten Berti-Faktor vor Rostock und VfL Bochum
Berlin (taz) – Aufsteiger SC Freiburg startet heute mit dem geringsten Berti-Faktor aller Fußballbundesligisten in die Saison – nämlich mit 15. Auf Platz zwei rangiert Hansa Rostock. Der heute getestete VfL Bochum (siehe links) wirbelte das Klassement durcheinander und ist Dritter. Das ergab eine Untersuchung der taz.
Der Berti-Faktor ist in der 36. Bundesligasaison Hauptkriterium der taz-Experten bei der Einschätzung von Klubs und Spielen. Er mißt stilloses Arbeiten auf und neben dem Spielfeld, das einem modernen, sehenswerten Fußball im Wege steht. Der geringe Faktor der drei Topklubs wird stark durch die Anti-Berti-Trainer Finke, Lienen und Toppmöller beeinflußt. Leverkusen in den Top three verhinderte knapp der Chemie/McDonald's-Malus, der moderne Stil überzeugte.
Die Tabelle auf dieser Seite hat Servicecharakter: Sie kann vor überhastetem Erwerb einer teuren Stadionkarte oder bedenklichem Fantum schützen. Andersherum: Wenn heute in den Saisontopspielen Bochum (23) gegen Freiburg (15) und Leverkusen (28) gegen Rostock (20) spielt, sollte man hinschauen. Der Berti-Faktor dieser Spiele beträgt 19 bzw. 24. Weniger Berti geht kaum.
In der letzten Saison taumelte der VfL Bochum zwischen großen Abenden im Uefa-Pokal und zähen Nachmittagen im Ringen um den Klassenerhalt in der Bundesliga. Am Ende verabschiedete sich mit Dariusz Wosz jener Spieler zu Hertha BSC, der auf dem Platz am meisten zu den Aufschwüngen der letzten Jahre beigetragen hatte. Und nun? Der taz-Test gibt Antwort auf die drängendsten Fragen.
Wie groß ist der Berti-Faktor?
Seit dem Beginn der Ära Toppmöller in Bochum dramatisch reduziert, mußte er im Laufe der letzten Saison zum Unwillen des Trainers stark erhöht werden. Infolge drohenden Abstiegs wurde die Abwehr durch einen Ausputzer festgezurrt und fröhliches Offensivspiel zurückgefahren. Dennoch – Berti-Faktor: 23
Wird Fußball gespielt?
Wenn es gut läuft, wird der VfL Bochum wieder zur taktischen Elastizität der Vergangenheit zurückfinden. Die Viererkette ist in der Vorbereitung auf die neue Saison wiederauferstanden, kann aber fliegend in eine Dreierkette oder einen Dreierblock mit Libero verwandelt werden. Positionstausch und Kurzpaßspiel sind selbstverständlich. Zwei Spitzen soll es auch wieder geben, gelegentlich möchte Toppmöller sogar mit zwei echten Außenstürmern antreten.
Wer hilft?
Sicherlich die Neuzugänge Gaudino (31) und Kuntz (35), trotz mangelnder Jugend. Eine Spielmacherrolle alter Prägung wird Maurizio Gaudino allerdings kaum zugestanden werden. Sein immer noch sehr gutes Paßspiel dürfte für eine Erweiterung der Möglichkeiten sorgen. Stefan Kuntz ist als Stürmer gekauft worden, während er zuletzt in Bielefeld eher im Mittelfeld spielte. Neben der Verstärkung des im Vorjahr schwachen Sturms wird Kuntz aber auch zur Stabilisierung einer insgesamt wenig robusten Mannschaft beitragen.
Was stört?
Die Vergangenheit. Die letzte Saison war nach dem Ausscheiden aus dem Uefa-Cup freudlose Arbeit. Der Abgang von Wosz kam unvermittelt, und die Neuverpflichtungen wurden ohne Enthusiasmus aufgenommen. Die Zahl der verkauften Dauerkarten (8.200) liegt unter der des Vorjahres. Die Fans gehen eher reserviert in die neue Spielzeit und müssen zurückgewonnen werden.
Wer fehlt?
Thomas Stickroth (33). Langsam schwindet der Glaube daran, daß sich sein Knie noch erholt. Das Fehlen des Mannes mit den verwegensten Tricks gilt inzwischen als einer der Gründe für die schwache Vorsaison. Außerdem fehlte „Stickinho“ als Adressat halbreligiöser Huldigung der Fans: „Fußballgott“.
Wie will man Tore schießen?
Ausnahmsweise mal wieder durch die Angreifer, denn kein Team schoß im Vorjahr weniger Stürmertore (11). Helfen soll dabei eben Stefan Kuntz und der rätselhafte Sergej Juran, bei dem der Abstand zwischen bester und schlechtester Leistung so groß ist wie der zwischen Bochum und Kiew. Auch die Youngster Delron Buckley, der aber eher ein Linksaußen ist, und Nesat Gülünoglu sind aufgefordert, zu treffen.
Was macht der Trainer?
Klaus Toppmöller liebt Fußballer, die nicht mit dem Ball arbeiten, sondern mit ihm spielen. Über die Spielweise von Ajax Amsterdam redet er wie ein Verliebter, und bei der WM hat ihm Holland am besten gefallen. Was fast eine Selbstverständlichkeit ist für alle Adepten von modernem Fußball, die in Deutschland meist Post-68er wie Finke oder Lienen sind. In deren Reihe paßt Sozialdemokrat Toppmöller aber nicht so recht, weil sein Fußballentwurf eher aus dem Fußball destilliert ist als durch andere außerfußballerische Einflüsse geformt. So ganz hat das Publikum in Bochum zwar den manchmal etwas mürrisch wirkenden Toppmöller immer noch nicht verstanden, es ahnt aber seine Größe und hat ihn daher längst ins Herz geschlossen.
Taugt der Torwart was?
Ja. Thomas Ernst ist ein unspektakulärer Keeper mit guten Reflexen und einer sicheren Strafraumbeherrschung, an seinen Abschlägen arbeitet er noch. „Rocky“ schaut sich Ernst vor Spielen nicht mehr an. Früher hat er das Boxer- Epos mit Sylvester Stallone vor Spieltagen aus der Videothek ausgeliehen und sich damit auf den Kampf im Kasten eingestimmt. Dann bekam er ihn zu Weihnachten geschenkt und hat das Video seither nie mehr angesehen.
taz-Prognose:
Bochum bleibt drin. Tester: Christoph Biermann
Schalke 04 spielt einen von Strategie und Theorie geprägten Fußball. Trainer Huub Stevens hat für seine Mannschaft ein zerstörerisches System entworfen, das jeden Gegner enerviert. Zwar in altdeutscher 3-5-2-Ordnung, die entscheidenden Duelle werden aber weit jenseits des eigenen Strafraums im Mittelfeld ausgetragen.
Wie groß ist der Berti-Faktor?
Stevens' Sicherheitskonzept kann für den Betrachter je nach Blickwinkel sterbenslangweilig oder extrem faszinierend sein. Der Nationalelf wird Schalke wenig helfen, es sei denn, man trifft im Uefa-Cup wieder auf Inter Mailand und Yves Eigenrauch stellt wie immer Ronaldo kalt. Den Berti-Faktor senken außerdem die stilvollen Äußerungen Rudi Assauers über Vogts („muß weg“) und den DFB-Trainerstab („hat in Frankreich bloß das Golf-Handicap verbessert“), ferner das neue Angebot im Fanshop: Das Kunstwerk „Split“ mit einer Originalgraphik des Trainers von Schalkes Toren im Uefa-Cup-Match gegen Hajduk Split. Mit Signatur: 250 Mark.
Wer hilft?
Der Verein hat einen Partner, auf den er sich auch in den finstersten Zeiten verlassen kann: seine Anhänger, die religiös dem Götzen Schalke ergeben sind. Verschärfend kommt hinzu, daß die Ideologie namens Schalke nicht ortsgebunden ist, sondern als universalistisches Prinzip funktioniert. Daran ist aber nichts auszusetzen, denn der Schalke-Kult ist für die Menschheit viel weniger schädlich als zum Beispiel die Unterwerfung unter gefährliche Gurus wie Michael Schumacher.
Wer stört?
Es ist nicht nett, das zu sagen, doch das störende Element ist eindeutig der Emotionsautomat Charly Neumann. Sorgt regelmäßig für peinliche Szenen in Funk und Fernsehen, quatscht ungebeten dazwischen, außerdem schwerer Populist. Aber ohne den dicken Fanpriester geht's natürlich auch nicht, er ist auch als deeskalierender Faktor unentbehrlich.
Was macht der Torwart?
Eine peinliche Geschichte. Frode Grodas heißt der neue Torsteher, immer noch besser als Oliver Reck, aber kein Vergleich mit Jens Lehmann (jetzt AC Mailand). Mit Lehmann fehlt eine der wichtigsten Anspielstationen im Schalker Sicherheitskreislauf (durch die vielen Rückpässe hatte er mehr Ballkontakte als jeder andere Torwart der Bundesliga), die weiblichen Anhänger vermissen zudem ihr liebstes Idol. Adäquaten Ersatz hätte Adam Matysek abgegeben: ebenfalls gutaussehend und auch ein erstklassiger Torwart. Doch statt sein Versprechen an Matysek einzuhalten („Sie sind jetzt ein Schalker“), entschied sich Assauer für Reck, bloß weil er einen deutschen Paß besitzt. Da der sich verletzte, mußte Assauer doch wieder einen Ausländer anwerben. Dieser Irrtum könnte etliche Punkte kosten.
Wie will man Tore schießen?
Bisher nicht bekannt, eventuell durch Einwechseln von Ingo Anderbrügge.
Wer ist der Beste?
Olaf Thon. Souveräne Führungskraft, bestechender Sprachwitz. Die ganze Welt weiß das, nur ein kleiner Mann vom Niederrhein mag es nicht wahrhaben.
Allgemeines Qualitätsdefizit?
Könnte verheerend hoch sein, besonders gleichwertiger Ersatz für Lehmann und Linke wird vermißt. Torwart Grodas offenbart Schwächen beim Herauslaufen, der zweite Manndecker neben de Kock wird immer noch gesucht. Besetzungen wie Eigenrauch, van Hoogdalem, Tapalovic oder van Kerckhoven sind Behelfslösungen. In Frage steht unter anderem auch, ob das tschechische Duo Nemec/ Latal wieder zur alten Form findet, ob Mulder jemals vollständig gesundet, Max seine Chancen besser nutzt, Neuzugang Hami Mandirali sich zurechtfindet. Trainer, Publikum und der X-Faktor Hoffnung stehen den Zweifeln entgegen. Defizitwert: 42.
taz-Prognose: Uefa-Cup-Platz. Tester: Philipp Selldorf
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