: Am Kreuz der Sexualität
Ein Leben zwischen Katholizismus und Homosexualität, Leidenschaft und Verdrängung: Zum Tod des französisch-amerikanischen Schriftstellers Julien Green ■ Von Jörg Magenau
Wer 97 Jahre alt ist, sollte auf das Sterben vorbereitet sein. Julien Green hatte sich zu diesem Zweck bereits vor Jahren ein luxuriöses Mausoleum errichten lassen. Es steht im österreichischen Klagenfurt, demonstrativ weit weg von Paris, wo er 1900 als siebtes Kind und erster Sohn amerikanischer Einwanderer geboren wurde und wo er, wie die Angehörigen erst am Montag bekanntgaben, bereits am vergangenen Donnerstag gestorben ist. Seinen Vornamen ließ er einmal als Julian, dann als Julien ins polierte Marmorgrab gravieren – Zeichen seiner doppelten, französischen und amerikanischen Identität, aber auch ein Hinweis darauf, daß Namen doch nicht mehr sind als Schall und Rauch.
Der Tod konnte den tief religiösen Katholiken und von nagenden Schuldgefühlen geplagten, dandyhaften Homosexuellen jedenfalls nicht schrecken. Von ihm erhoffte er sich Erlösung und letzte Klarheit. Dann, so sagte Green 1990 in einem Interview, werde er „endlich vor Gott stehen und genau wissen, wer ich bin, frei von allen Illusionen und kleinen Lügen“. Dann werde er „ins Fegefeuer gehen und sehr glücklich sein“.
Die Entfernung vom Irdischen betrieb Green konsequent. Im November 1996 sorgte er für einen Affront, als er aus der ehrwürdigen Académie française austrat, der er 1971 als erster Ausländer zugewählt worden war. Zur Begründung gab er an, Ehrungen interessierten ihn nicht, und außerdem begreife er sich vor allem als Amerikaner. Und doch verbrachte er – außer der Studienzeit von 1919–1922 und den Jahren des 2. Weltkriegs – sein Leben in Paris. Mit André Gide war er eng befreundet. Fast alle seine Romane, seine Essays, Bühnenstücke und Tagebücher schrieb er in französischer Sprache. Sie erschienen – Klassiker zu Lebzeiten – in Gallimards exklusiver „Bibliotheque de la Pléiade“. Da konnte der Literatursachverständige Jacques Chirac gestern völlig risikolos Green als „einen der wichtigsten Schriftsteller des Landes“ bezeichnen und von einem „immensen Verlust für die französische Literatur“ sprechen – auch wenn Green sich in den 90er Jahren in seinen Romanen „Die Sterne des Südens“ und „Dixie“ der versunkenen Welt der amerikanischen Südstaaten vor dem Sezessionskrieg zugewandt hatte – der Herkunft der Eltern, wie er sie aus den Erzählungen seiner Mutter kannte.
Glücklich, so betonte er immer wieder, war er eigentlich nur während der Kindheit, und das, obwohl seine Mutter ihn streng puritanisch erzog und ihm einen tiefen Ekel vor allem Körperlichen einpflanzte. Die Mutter war es auch, die entschieden hatte, daß die Familie sich in Paris niederlassen solle, als der Vater 1895 von einer amerikanischen Firma nach Europa geschickt wurde. Denn Frankreich erschien ihr vertrauter als Deutschland, „weil Frankreich 1870 besiegt wurde und die Südstaatler deshalb verstehen kann“. Der Tod der Mutter im Jahr 1914 ist das erste einschneidende Erlebnis für Julien Green. Ihr Tod, der ihn von der Kindheit und den „eher liebenswürdigen Seiten des Lebens“ abschnitt, steht im Mittelpunkt des ersten Teils seiner vierbändigen Autobiographie „Junge Jahre und Jugend“. Wenig später, so berichtet er, verlor er die „sexuelle Unschuld“ und konvertierte mit 16 zum Katholizismus. Damit waren die Pole dieses Lebens abgesteckt, das Green später einmal mit den Worten „ans Kreuz der Sexualität geschlagen“ beschrieb.
Ein Leben lang war er in dem irdischen Jammertal, in dem er durchaus gut zu leben wußte, in den Kampf mit „der Sünde“ verstrickt. Seine Tagebücher geben über die Gewissensnöte ebenso Auskunft, wie sie eine endlose Reihe jugendlicher Liebhaber aufmarschieren lassen. Schon in den frühen Werken „Adrienne Mesurat“ (1927), „Leviathan“ (1929) oder „Treibgut“ (1932) sind die Hauptfiguren Getriebene und Gefangene, verstrickt in die unlösbare „Verschränkung von Leid und Leidenschaft“, wie Walter Benjamin schrieb. Und auch in den großen Romanen „Moira“ (1950) und „Jeder Mensch in seiner Nacht“ (1960) geht es um Mord und Vergewaltigung und um einen Homosexuellen, der von seinem Liebhaber hinterrücks erschossen wird.
Es ist, als müsse Green seine Figuren – Ungeheuer, Perverslinge, von Leidenschaft Überwältigte – immer wieder durch die Hölle schicken, scheinbar ohne Gnade. Und doch ist er auf der Suche nach Erlösung, die aber nur der Tod bringen kann. Seine Romangestalten müssen unterdessen, stellvertretend für ihn selbst, all die „schlimmen Begierden“ durchleben. Green bekämpfte „das Böse“, indem er es darstellte und seine Mechanismen sichtbar machte, um sich so davon zu befreien. So kommt es, daß dieser noble, stille Aristokrat ein Werk voller Gewalt, Verzweiflung und finsterer Abgründe hinterläßt. „Ich bin Katholik und Schriftsteller, aber kein katholischer Schriftsteller“, sagte er.
Bis zuletzt kämpfte er mit eiserner Selbstdisziplin gegen die „lauernde Ausschweifung“ an: Um acht Uhr stand er auf, auf das Frühstück folgte ein Spaziergang, und von elf bis dreizehn Uhr saß er am Schreibtisch: stets mit Anzug und Krawatte. Bis kurz vor seinem Tod setzte er das Tagebuch fort, das er 1919 begonnen hatte – wohl das umfangreichste Tagebuch der Literaturgeschichte.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen