: Auf Zeitgewinn gesetzt
■ betr.: „Kein Friede in der Gedenk branche“, taz vom 12. 8. 98
1. Quantitativ wurden die meisten der Gedenkstätten von Idealisten gegen große Widerstände aufgebaut und werden überwiegend „ehrenamtlich“ von einer Handvoll Leute getragen. Dabei handelt es sich schon mal um einen fundamentalen Unterschied zwischen den „normalen“ = kleinen und lokal orientierten Gedenkstätten zu den bekannten großen Einrichtungen wie zum Beispiel Dachau oder Topographie des Terrors. Es wäre also zu kritisieren, daß mit der „Stiftung Deutsches Holocaust- Museum“ die gewichtigen Unterschiede zwischen den Gedenkstätten unterschlagen werden und damit in der Förderung und Wirkung der Arbeit verschlechtern werden.
2. Längst nicht die gesamte Gedenkstättenarbeit läßt sich unter das Thema Holocaust fassen. Bei meiner Mitarbeit an der Gedenkstätte KZ Neckarelz, das errichtet wurde, um mit KZ-Häftlingen die Untertageproduktion von Flugzeugen im letzten Kriegsjahr zu fördern, machte ich die Erfahrung, daß Aufklärung (auch im umfassenden Sinn, wie sie Hans-Jürgen Häßler anstrebt) bitter nötig, aber nur in Sonntagsreden begrüßt wird. Es hilft also nicht, hier ein Stichwort „Holocaust“ einzuführen und ein „deutsches Museum“ aufzubauen, weil dies weder inhaltlich noch strukturell den Problemen gerecht werden kann. Das ist der Hintergrund für den Ansatz, die Aufarbeitung der Vergangenheit als jeweilige lokale Heimatgeschichte zu versuchen, was nur in mühevoller Kleinarbeit gelingen kann.
3. Da die meisten Gedenkstätten finanziell und personell schlecht dastehen, ist die jetzt ausgebrochene Diskussion vor allem ein Ablenkungsmanöver. Wiederum aus unserer Erfahrung: lediglich 5.000 DM bekommen wir im jahr öffentliche Unterstützung und bräuchten 100.000, um wenigstens das Archiv mit den Zeitzeugeninterviews für die weitere Forschung nutzbar zu machen. In verschiedenen Varianten haben jene Menschen und Organisationen, die Geld für Aufklärung zur Verfügung stellen könnten und müßten, schon immer auf Zeitgewinn gesetzt: Dann sterben Betroffene, und es wächst Gras über das Problem (bis es in Neonazi-Exzessen wieder hochkommt).
Diskussionen um Mahnmal und Museum sollten dazu beitragen, für junge und alte Menschen solche Voraussetzungen zu schaffen, daß sie sich unzensiert die gesamte deutsche Geschichte aneignen können. Wenn dafür Geld und Renommee eingesetzt würden, ginge es der Sache besser und statt der Eitelkeiten entstünde (hoffentlich) ein anderes Bewußtsein. Georg Fischer, Schefflenz
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