Der Bürgermeister der Westkurve

■ Detlev Jennerjahn steht seit 20 Jahren im gleichen Block im Volkspark. Das wird sich ändern

In der Westkurve des Volksparkstadions kennt ihn jeder. Kein Wunder, Detlev Jennerjahn ist seit mehr als 20 Jahren im Block E, dort, wo die größten HSV-Fans stehen. Der 38jährige, der seiner jetzigen Ehefrau den Heiratsantrag über das Stadionmikrofon machte, gilt als inoffizieller „Bürgermeister der Westkurve“. Noch fünf Monate lang residiert der Langenhorner in seinem Amtssitz. Zur Winterpause wird die sagenumwobene Westkurve abgerissen und zur Gegentribüne umgebaut. Jennerjahns neue Heimat ist die Nordtribüne. Der Supporter, dessen Kellertreppe in den HSV-Farben schwarz-weiß-blau gehalten ist, sieht das eifrige Buddeln „mit gemischten Gefühlen“. Dennoch: Den Heimauftakt gegen Bochum am Sonntag um 18 Uhr kann er kaum erwarten.

taz hamburg: Wie häufig hast du schon den Umbau des Volksparkstadions verflucht?

Detlev Jennerjahn: Es schlagen zwei Herzen in meiner Brust. Ich bin traurig, weil ich meinen jahrzehntelangen Stammplatz verlieren werde. Andererseits freue ich mich auf ein reines Fußballstadion. Alles überdacht, keine Laufbahn. Und die Stimmung wird eher besser werden. Ich bin ganz froh, daß etwas Neues kommt.

Wir hören nur ein Herz schlagen. Du bist ja völlig begeistert.

Nein, das stimmt nicht. Ich hänge schon an der ganzen Sache. Ich habe dort ja viel erlebt, auch wenn die entscheidenden Spiele gar nicht im Volksparkstadion waren, sondern in Athen oder Gelsenkirchen.

Überwiegt Frust oder Freude?

Es gab viele schwarze Momente, wir haben ja häufig verloren, vor allem in den letzten Jahren. Aber insgesamt erinnert man sich mehr an die Siege als an die Niederlagen. Auf jeden Fall habe ich beim letzten Spiel der vergangenen Saison gegen Kaiserslautern meine Kamera mitgenommen und alles fotografiert. Ich wollte das alte Stadion noch einmal haben und den Blick von dem Platz aus festhalten, wo ich immer gestanden habe. Das ist meine Art des Abschiednehmens.

Warum hast du damit denn so früh angefangen, du hast doch noch die gesamte Hinrunde Zeit, um deiner Ecke Lebewohl zu sagen?

Ich stehe zwar noch in der Westkurve, aber es wird dennoch anders sein. Ich bin jetzt fast auf Höhe der Mittellinie und nicht mehr hinter dem Tor. Das Spielfeld ist weiter weg. Berauschend finde ich das nicht. Aber man weiß ja, wofür man da steht.

Was war früher noch anders?

Da bin ich mit einem Dutzend meiner 70 Schals ins Stadion. Ich hatte immer die gleichen Schals mit, und es gab eine feste Anordnung: einen um die Hüfte gebunden, die anderen durchgesteckt. Ich muß wohl wie ein fliegender Händler ausgesehen haben. Jedenfalls haben mich oft Leute gefragt, was die kosten. Die sind nicht zu verkaufen, habe ich geantwortet. Und warum stehst du dann hier rum, waren die regelmäßig sauer.

Was ziehst du heute bei einem Stadionbesuch an?

Ich trage immer einen Schal, Mütze und mein 20 Jahre altes BP-Trikot. Campari oder Hitachi hatte ich leider nie.

Die fehlen in deiner Sammlung?

In meinem Keller will ich einen HSV-Raum einrichten. Ich hänge einfach an alten Dingen. Ich habe mich auch sehr geärgert, daß ich kein Stück Rasen abbekommen habe.

Wie konnte dir altem Hasen nur so ein Fehler unterlaufen?

Die Bagger waren schneller. Im Fanshop wurden zwar noch einige Rasenteile verkauft, aber da war ich auch wieder zu spät. Wenigstens habe ich ein Stück Beton aus der Ostkurve bekommen. Dort habe ich schließlich auch angefangen.

Für einen echten HSV-Fan gehört sich das auch so.

Ganz früher, noch vor meiner Zeit, standen die HSVer in der Ostkurve. Das ist in Vergessenheit geraten. So wird das auch mit der Westkurve gehen, man gewöhnt sich an die Nordtribüne.

Wirklich?

Man merkt erst, was man verloren hat, wenn es nicht mehr da ist.

Interview: Clemens Gerlach