piwik no script img

„Gutachten bedient platte Vorurteile“

■ Die ÖTV übt scharfe Kritik am Klinik-Spargutachten: Die Vorschläge zur Privatisierung seien wissenschaftlich nicht abgesichert

Die Gewerkschaft Öffentliche Dienste, Transport und Verkehr (ÖTV) hat gestern das Krankenhaus-Gutachten scharf kritisiert. Das Kieler Institut für Gesundheits-System-Forschung (IGSF) habe mit seinen Vorschlägen zur Privatisierung der städtischen Kliniken das „platte Vorurteil, daß privat per se besser sei“, unwissenschaftlich bedient, so die ÖTV- Vorsitzende Susanne Stumpenhusen. „Hier verläßt das Gutachten seinen seriösen Ansatz“, sagte Stumpenhusen, die dem Gutachten ansonsten durchaus Seriösität bescheinigte.

Der Anteil der Krankenhausbetten in öffentlicher Trägerschaft sei in Berlin mit 60 Prozent nicht höher als in anderen Bundesländern. Zudem sei diese Trägerschaft noch kein Indiz für höhere Kosten. „Wenn es in einzelnen Häusern Nachholbedarf in Sachen Effizienz gibt“, so ÖTV-Vize Ernst-Otto Kock, „dann muß man eben das Management rausschmeißen.“ Grundsätzlich akzeptiere die ÖTV, daß das Kostenniveau in den Krankenhäusern gesenkt werden müsse und Beitragszahlungen nicht durch Leistungen aus anderen Bundesländern ausgeglichen werden können. Ohne diese wäre die Berliner AOK längst pleite. „Aber dafür braucht man andere Strukturen und keine Privatisierung.“

Das IGSF hatte in seinem Gutachten die Privatisierung aller elf städtischen Krankenhäuser sowie des Uni-Klinikums Benjamin Franklin (UKBF), das zu einem Krankenhaus der Zentralversorgung heruntergestuft werden soll, angeraten. Die städtischen Häuser sollen – abgesehen vom Krankenhaus Neukölln und vom Klinikum Buch – in „Paketen“ potentiellen Interessenten angeboten werden: Als „Region West“ die Krankenhäuser Moabit, Spandau und Reinickendorf, als „Region Ost“ Prenzlauer Berg, Friedrichshain, Hellersdorf und das Krankenhaus am Urban, als „Region Süd-West“ Zehlendorf sowie das Auguste- Viktoria- und das Wenckebachkrankenhaus. Bei jedem Paket soll dann ein Haus geschlossen werden.

Stumpenhusen kritisierte zudem, daß die Gutachter für ihre Vorschläge zur Trägerschaft der städtischen Kliniken gar keinen Auftrag gehabt hätten. Im Glauben, der Auftrag sei auf die Umstrukturierung der Krankenhäuser beschränkt, habe die Gewerkschaft in dem Beirat, der zur Unterstützung der Gutachter gebildet wurde, konstruktiv mitgearbeitet. Stumpenhusen: „Die ÖTV fühlt sich mißbraucht.“ Außerdem kritisierte die ÖTV, daß das IGSF keine Begründungen für seine Vorschläge geliefert habe.

Auf Basis des Gutachtens will die Gesundheitsverwaltung bis April 1999 den Entwurf eines neuen Krankenhausplans erarbeiten, der dann vom Abgeordnetenhaus verabschiedet werden muß. Das Gutachten hat dabei hohe Verbindlichkeit, weil der Senat mit den Krankenkassen vereinbart hat, sich weitgehend an die Empfehlungen zu halten. Wenn die Gesundheitsverwaltung davon abweichen will, muß sie nachweisen, warum der entsprechende Vorschlag nicht sinnvoll ist. „Wie soll man aber die Sinnlosigkeit von Maßnahmen nachweisen, wenn man ihre Begründung nicht kennt“, fragte Kock und forderte die Offenlegung derselben.

Weiter forderte Kock, daß es bei der notwendigen Neustrukturierung der Krankenhäuser keine betriebsbedingten Kündigungen oder Verschlechterungen der arbeits-, tarif- und versorgungsrechtlichen Ansprüche gebe. Zudem sollen neue Arbeitsfelder im Gesundheitswesen wie beispielsweise in der vor- und nachstationären Versorgung gefördert werden. Sabine am Orde

Bericht Seite 22

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen