: Abwarten und Bier trinken
Zur Zeit wird hinter verschlossenen Türen immer noch über den Verkauf der Bavaria-Brauerei verhandelt. In Sudhaus, Gärkeller und Chefetage hat sich derweil umgeschaut ■ Christine Holch
Später Vormittag in der Kantine der Bavaria St. Pauli Brauerei GmbH. Der Betriebsratsvorsitzende Werner Henne gönnt sich beim Astra eine Verschnaufpause. In diesen Tagen verhandelt das Bankhaus M.M. Warburg & Co im Auftrag des Senats über den Verkauf der Brauerei, die derzeit bei der Stadt Hamburg geparkt ist.
Jetzt kann Werner Henne nur noch abwarten. Was er tun konnte, hat er getan. Zum Beispiel mit dem Vorstand der Holsten Brauerei AG verhandelt, dem einzigen öffentlich bekannten Kaufinteressenten. „Holsten hat großes Interesse daran, daß es nach einer Übernahme nicht zu Auseinandersetzungen mit der Belegschaft kommt“, erklärt Henne die Diskussionsbereitschaft.
Und der Vorstand habe ihm einiges zugesagt: Der Braustandort St. Pauli werde mindestens drei Jahre lang erhalten; sollte er später doch geschlossen werden, beschäftige man die ArbeiterInnen und Angestellten innerhalb Hamburgs weiter und nicht, wie noch vor einem halben Jahr verkündet, an anderen deutschen Holsten-Standorten.
Eine mündliche Zusage. „Na und“, sagt Henne, „unter Bierbrauern gilt das gesprochene Wort. Brauer sind hanseatisch und sehr zuverlässig.“ Und so „stockkonservativ“, daß sie niemals SPD wählen würden. Obwohl – nach dem Rettungskauf der von Schließung bedrohten Brauerei durch den rot-grünen Senat ist er sich da nicht mehr so ganz sicher.
Zuverlässigkeit vermißten die Bavarianer schmerzlich bei ihrem letzten Besitzer, der Brau und Brunnen AG aus Dortmund. Die Zusammenarbeit sei katastrophal gewesen. „Banker, nicht Brauer“, so charakterisiert auch Brauereiführer Uwe Christensen an diesem Vormittag die Brau-und-Brunnen-Spitze vor einer Besuchergruppe, geht dann aber stracks von der unerfreulichen jüngeren Geschichte zur glorreichen Frühgeschichte über. Hamburg hatte nämlich um 1600 schon mal 520 Brauereien, und das bei 20.000 EinwohnerInnen. Doch, doch, sagt Christensen: „Bier war Hamburgs stärkster Exportartikel.“ Und es war berühmt, obwohl das Wasser dafür aus den Fleeten kam, die als Kloaken benutzt wurden.
Vorsichtig gehen die BesucherInnen über den Hof, wo Gabelstapler mit Bierfässern hin- und hersausen, schnuppern in die Luft: Was riecht hier so? Maische. Mai-sche? Aber darf Bier nicht nur aus Wasser, Gerste, Hopfen und Hefe bestehen? Doch von vorn: Am Anfang ist das Gerstenkorn, prallvoll mit Stärke. Stärke aber läßt sich nicht vergären. Also wird die Gerste gemälzt: angekeimt. Dabei bilden sich Enzyme, die die Stärke zu Zucker abbauen – Nahrung für den Keimling. Die getrockneten Keimlinge kauft Bavaria als Malz – um sie gleich wieder einzuweichen.
Diese Brühe heißt Maische und schwimmt in den Kupferkesseln im Sudhaus. Dort wird die Maische erhitzt, dann zusammen mit Hopfen gekocht. Die weiblichen Dolden dieser Nesselart enthalten Bitter- und Aromastoffe. Vorsichtig linsen die BesucherInnen durch die Kesselluken auf die trübe Brühe, die nicht nach Alkohol riecht, sondern nach Brot.
Nebenan, im Kontrollraum für den Gärkeller, sieht es überhaupt nicht mehr nach alter Brautradition aus: eine Wand voll leuchtender Knöpfe, davor Computer. Hier wird automatisch gesteuert, was die Hefe mit der Gerste-Wasser-Hopfen-Mischung macht: Sieben Tage lang fressen sich die Hefe-Einzeller dick und satt und verwandeln dabei Zucker in Alkohol und Kohlensäure.
Ein einziger Braumeister reicht zur Überwachung des ganzen Gärprozesses – das Brauereigewerbe hat mehrere Rationalisierungswellen hinter sich. „Sonst wäre es doch gar nicht möglich, daß ein Kasten Bier wie vor 20 Jahren 17, 18 Mark kostet“, sagt Christensen.
Von den vormals rund 500 Menschen, die bei Bavaria arbeiteten, sind heute nur noch 220 mit Produktion und Vertrieb der Sorten Astra, Ratsherrn und Alsterwasser beschäftigt; weitere 150 produzieren Jever, das Brau und Brunnen als Marke behalten hat.
Modernste Brau-ereien, zu denen auch Bavaria gehört, arbeiten sogar mit Robotern – in der Getränkeabfüllanlage. Seit 1990 hat Bavaria rund 90 Millionen Mark investiert, vergangene Woche erst wurde die modernste Dosen-Abfüllanlage Europas eingeweiht, die viel weniger Strom braucht als herkömmliche Anlagen und 60.000 Dosen pro Stunde füllt.
Abfüllen scheint simpel. Allein – wie kriegt der Brauer die Luft, den ärgsten Feind des Bieres, aus dem Flaschenhals? Er schießt unter Druck einen Wassertropfen in die Flasche, das Bier schäumt hoch, läuft über und reißt dabei Luft und Wassertropfen mit. „Daher das Zischen, wenn Sie eine Flasche öffnen“, erklärt Christensen.
Derweil brütet oben im elften Stock des Verwaltungshauses Geschäftsführer Rudolf Toboll über den Bilanzen. Und frohlockt: Man liegt über Plan. Am Ende dieses Jahres wird Bavaria 750.000 Hektoliter Bier verkauft haben (ein Hektoliter sind hundert Liter). Davon entfallen 520.000 auf die Marke Astra-Urtyp, noch vor Holsten-Edel das meistgekaufte Bier im Großraum Hamburg, 110.000 Hektoliter auf die Gastronomie-Edelmarke Ratsherrn sowie 60.000 auf das Astra-Hamburger Alsterwasser. Außerdem werden 30.000 Hektoliter der Spezialität Dübelsbrücker Dunkel gebraut.
„Wir schreiben dieses Jahr eine schwarze Null“, Toboll kann angesichts dieser Zahlen endlich mal wieder so richtig den Panoramablick über den Hafen genießen. Zwar mußte Bavaria im vergangenen Jahr wie alle deutschen Brauereien Absatzverluste hinnehmen, aber die fielen geringer aus als im deutschen Durchschnitt – wohl ein Nachhall der Solidarität der HamburgerInnen mit Bavaria.
Seit einigen Jahren stehen die Bierbrauer unter erheblichem Druck: Die Deutschen sind zwar immer noch Weltmeister im Biertrinken, doch der Verbrauch sinkt – möglicherweise, weil Alkohol im Straßenverkehr und am Arbeitsplatz immer weniger geduldet wird. Schluckten die Deutschen pro Kopf 1980 noch 146 Liter, waren es 1997 nur noch 132. Die Brauereien kämpfen mit Überkapazitäten.
Andere Brauereien aufkaufen und dann plattmachen – das ist eine der Überlebensstrategien. Diese Absicht unterstellt auch so mancher Bavarianer der Holsten-Brauerei, der Erzkonkurrentin auf dem lokalen Markt. Beide versuchen derzeit, ihr Konsumbier als das Heimatbier in den Köpfen der Hamburger zu verankern. Bavaria bewirbt Astra mit einer frechen und etwas prolligen Kampagne: „Pommes rot-weiss. Astra. Was dagegen?“ Holsten macht Reklame für sein Edel mit Hamburg-Motiven wie Hafen und Dom.
Zwar gelten die beiden Biere vom Geschmack her als sehr ähnlich, und bei Niedrigpreis-Aktionen ist eine gewisse Wechselbereitschaft zu bemerken, trotzdem könne man eingefleischte Astra-Trinker nicht zu Holsten-Trinkern machen, meint Holsten-Sprecher Udo Franke. Um so mehr käme es Holsten zupaß, mit dem Kauf an eine weitere Käuferschicht zu kommen.
Holsten hat zwar nicht die größte Marke in Deutschland, ist aber als Konzern drittgrößtes Bier-Unternehmen – nach Brau und Brunnen und der Binding-Gruppe (Dr. Oetker). Im nationalen Wettkampf hält sich der Konzern, weil er auf mehreren Beinen steht: So hat er national mit Holsten-Pilsener eine starke Marke geschaffen, in Mecklenburg-Vorpommern hat er Lübzer als Heimatbier verankert, und Edelnischen besetzt er zum Beispiel mit Fosters. Eine Sortimentsbrauerei also, zu der Bavaria mit ebenfalls mehreren Marken gut passen würde.
Wunschkandidat wäre der Erzkonkurrent Holsten für die Bavarianer nicht gerade, „aber das sind wenigstens Profis“, sagt Geschäftsführer Toboll. Im Falle eines Falles würde er alles dransetzen, auch im Holsten-Konzern eigenständig zu bleiben. „Wenn der Verbraucher nämlich das Gefühl hat, daß Astra in der Holstenstraße gebraut wird, hat man automatisch Abschmelzverluste.“ Aber Toboll gibt sich zuversichtlich. „Wir sind ja mittlerweile, nachdem wir schon Tchibo, Reemtsma, März und zuletzt Brau und Brunnen gehört haben, konzernresistent.“
Heute steigt das „Zweite Brauhof-Fest“ bei Bavaria. Bernhard-Nocht-Straße 111, 10-18 Uhr, Eintritt frei. Motto: „Eine Stadt sieht rot“. Inga Rumpf ist unter ande-rem dabei sowie Schmidts Tivoli mit der Revue „Fifty-Fifty“.
Brauereiführungen (nur nach Anmeldung unter 31809-481) montags bis donnerstags, 10 und 14 Uhr, Kostenbeitrag 10 Mark
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