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„In Frankreich stimmen die Preise“

Viele der über 3.000 Markthändler klagen über steigende Gebühren und sinkende Umsätze. Trotzdem droht der Marktwirtschaft auf den Wochenmärkten keineswegs das Aus  ■ Von Uwe Rada

Marktschreier können auch leise. „Ein harmloser Schädling“, sagt Detlef Mahn, als ihm der ältere Herr ein Blatt seiner Balkonpflanze entgegenreicht. „Ich bring dir morgen das Gegenmittel. Blausäure. Oder hast du Katzen?“ Der ältere Mann schüttelt den Kopf. Dann geht er wieder. Nach Hause. Das Geschäft läuft nicht gut an diesem Mittwoch am Breslauer Platz in Friedenau.

Detlef Mahn handelt in Blumen. Und weil das Geschäft nicht gut läuft und das Bezirksamt Schöneberg seit Monatsbeginn mehr Gebühren für die sechs Wochenmärkte im Bezirk verlangt, handelt Mahn auch in Politik. Über 50 Markthändler hat er davon überzeugt, die Gebührenerhöhung vorerst nicht zu bezahlen. Die bezirkliche Marktverwaltung kontert mit Mahnungen. Für seinen 15 Quadratmeter großen Stand in Friedenau muß Monatshändler Mahn nun 229,68 Mark bezahlen, 31 Prozent mehr als im Vormonat. Für Mahn ist das zuviel, finanziell und politisch. Also macht er mobil, schreibt Eingaben, diskutiert mit den Händlern, droht mit dem Petitionsausschuß. Detlef Mahn, der Blumenhändler, der seit 35 Jahren auf den Berliner Wochenmärkten zu Hause ist, kennt sich aus in Sachen Politik. Bereits in Friedrichshain hat er die Bezirkspolitiker zur Weißglut gebracht, als Bezirksverordneter für die Republikaner. Und als Verfechter einer Marktwirtschaft der kleinen Leute. Nicht immer sind Marktschreier leise.

Von einer Existenzbedrohung durch die bezirkliche Marktverwaltung will Claudia nichts wissen. Jedenfalls nicht so direkt. Seit dem Ende des Häuserkampfes steht sie auf dem Winterfeldtmarkt und verkauft Kleider und Röcke. „Natürlich sieht man Gebührenerhöhungen nicht gerne, wenn gleichzeitig die Umsätze sinken“, sagt sie. Doch Gebührenerhöhung ist nicht gleich Gebührenerhöhung. 3,50 Mark zahlt Claudia nun mehr pro Tag. Davor hat sie acht Jahre lang 1,80 Mark pro Tag und laufendem Meter bezahlt, nun sind es 1,90 Mark. Die höheren Gebühren für die Abfallentsorgung, so ließ es das Bezirksamt wissen, hätten den Preisanstieg nötig gemacht.

Für Claudia liegt das Problem der Berliner Wochenmärkte woanders. „Die Leute verdienen weniger und drehen jede Mark dreimal rum“, weiß sie. Auch am Winterfeldtmarkt. „Manchmal gehe ich nach Hause und habe fünfzig Mark Umsatz gemacht.“ Und manchmal beobachtet Claudia, wie selbst gutgekleidete Herren hinter den Marktständen in den abgestellten Gemüsekisten kramen. „Früher“, sagt sie, „haben das nur ein oder zwei Penner am Tag gemacht.“

Früher. Im Osten buchstabiert sich früher anders. Vor allem für die privaten Marktbetreiber. Die haben früher, also kurz nach der Wende, ihr Schnäppchen gemacht, haben die ausgewiesenen Marktflächen von den Tiefbauämtern gemietet und sie für das Drei- oder Vierfache an Standmiete an die Markthändler weitergegeben. „Trotzdem stimmte damals das Geschäft“, erinnert sich Marktschreier Mahn, der nach der Wende am Stierbrunnen in Prenzlauer Berg seine Blumen verkaufte. „Aber dann kamen Ketten wie Blume 2000, und alle Händler sind wieder in den Westen“, erinnert er sich. Wegen der „Mafia“ der privaten Marktbetreiber würde sich daran so schnell auch nichts mehr ändern.

Die Baustadträtin von Prenzlauer Berg weiß ein Lied davon zu singen. Seit längerem schon will Dorothee Dubrau auch im Osten einen Szenemarkt wie den am Winterfeldtplatz etablieren. Einen Standort hätte die Bündnis-Politikerin schon: den Parkplatz zwischen Kastanienallee und Schönhauser Allee. Auch das Publikum ist da, glaubt sie. Doch bislang scheiterte das Vorhaben am mangelnden Interesse. „Es findet sich einfach kein Betreiber“, klagt sie. Und für den Betrieb eines kommunalen Marktes fehlen im Bezirk die Voraussetzungen. „Da müßte man erst einmal die Stelle eines Marktverwalters besetzen“, heißt es aus dem Wirtschaftsamt. Und dafür fehle das Geld.

Claudia weiß aber noch einen anderen Grund, warum die Marktwirtschaft im Osten nicht funktionieren würde. „Märkte wie der Winterfeldtplatz müssen sich etablieren“, sagt sie, „und das dauert oft ein oder zwei Jahre.“ Etablieren, das hieße für die Händler, sich an den weniger lukrativen Wochentagen und Wintermonaten manchmal auch die Füße in den Bauch zu stehen. Für Claudia kommt das nicht mehr in Frage.

Ohnehin reicht für die Mitinhaberin der Firma „New Planet“ schon jetzt das Geld kaum. Und das, obwohl sie drei Märkte die Woche bestellt. „Früher hat ein Kleid bei mir 129 Mark gekostet, heute kostet es 89 Mark. Das sind fast die Herstellungskosten.“ Um das nötige Kleingeld zu verdienen, verkauft Claudia ihre Kleider deshalb auch auf den Märkten in Südfrankreich. Sechs Wochen lang, jedes Jahr. „Da stimmen wenigstens die Preise“, freut sie sich. Ganz leise. Das Schreien ist ihre Sache nicht.

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