■ Vorlauf: Polarmärchen in Weiß und Silberblau
„Vision Man“, 20.45, Arte
Das tiefe Atmen eines alten Mannes macht einem angst. Herzschlag, Puls, weiße Stille und zuviel Licht. Dann ein Schnitt, und das Krankenhauszimmer wird mit einer überbelichteten Polarlandschaft glasiert. Ein Bild hochtransparenter Schönheit. Und fast eine Metapher.
„Vision Man“ von William Long ist einerseits nur ein Film über den nördlichsten von Menschen bewohnten Ort der Welt — über Thule, über die grönländischen Eskimos. Andererseits ist „Vision Man“ ein Psychedelikum. Wie hat Herr Long das gemacht? „Ich bin... Ich war ein Jäger“, so beginnt Utunlarsuak Avike, 87 Jahre alt, die Geschichte. Seine letzten Tage verbringt der alte Mann mit einem alten Schlittenhund in einem Fertigteilhaus. Den Hund hat er „Alkohol“ genannt, „weil ich ihn so gerne mag“. Die Enkel haben Avikes andere Hunde totgeschlagen.
Mondlicht und Schnee lassen Thule bei Nacht in metallischem Silberblau schimmern. William Long erdet sein Polarmärchen durch Gebrüder-Grimmsche Grausamkeiten. Ein Jäger zersägt den Schädel eines Walrosses; das Geräusch setzt sich, weit entfernt, im einsamen Eis fort. Tiefes Schweigen, ein Eisbär. Keine Schönheit ohne Grausamkeit. „Nach vier Monaten Winterdunkel kommt die Sonne zurück“, erzählt ein junger Jäger. „Am ersten Tag bleibt sie nur ganz kurz... Wie sehr wir diesen Anblick ersehnen.“ Der Inuit spiegelt sich in einem Wasserloch.
Seine Symbiose mit dem Eismeer, das sein Leben ist, wird, und das weiß William Long, kein noch so sensibler Dokumentarfilmer durchdringen. Das Problem, einen extrem fremden Kulturkreis in Bildern und Worten einzufangen, ohne die Darstellung von den eigenen politisch korrekten Klischees (ob Robbenschutz oder Klimakatastrophe) überformen zu lassen, fand man selten so subtil, so poetisch und klug gelöst. „Wir erschlagen die Robben doch gar nicht mit Keulen“, empört sich der junge Jäger über die Greenpeaceler. Stimmt. Er erschießt sie.
Atemberaubender Film. Anke Westphal
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