piwik no script img

Hysterie in Busy, Breezy, Booming Town

■ Zwischen Bronzetafeln und Musical-Fiktion: 40 Jahre nach Elvis Presleys Ankunft am Columbus-Bahnhof widmet Bremerhaven dem King of Rock'n'Roll ein tage- und nächtelanges Spektakel mit Musik, Theater und Ausstellungen

Großer Bahnhof für den King des Rock'n'Roll: Am 1. Oktober 1998 ist es genau 40 Jahre her, daß Elvis Presley seinen Fuß auf deutschen Boden setzen mußte. Die Army hatte gerufen, und der hüftenschwingende Herzensbrecher hatte sich die Uniform angezogen und war einer von 1.300 Soldaten der Dritten amerikanischen Panzerdivision aus Fort Hood, die mit dem Truppentransporter in Bremerhaven anlandeten. Ort des Geschehens: Der Columbus-Bahnhof, der „Bahnhof am Meer“, der damals der Umschlagplatz für den Schiffsverkehr nach Übersee war.

Heute erinnern nur die großräumigen Fahrgastabfertigungshallen an diese Zeit, in der Bremerhaven noch den Spitznamen „Busy, Breezy, Booming Town“ trug und den Ruf hatte, Europas Vorhafen von New York zu sein. Das Nachtleben in den Clubs und Kneipen jedenfalls konnte sich mit jeder Weltstadt messen.

Dem prominentesten Bahnhofsgast in Bremerhavens Nachkriegsgeschichte widmet die Stadt im Oktober ein viertägiges Spektakel. Dabei dreht sich alles um Elvis: Musik auf mehreren Bühnen, sieben Filme in Non-stop-Aufführungen, eine Ausstellung über den 50er-Jahre-Zeitgeist und eine weitere Schau mit Elvis-Reliquien sowie ein Musical, das Stadttheater-Intendant Peter Grisebach als aufwendigste Produktion in der Geschichte des Hauses ankündigt.

Eröffnet wird das Festival am 1. Oktober mit der Enthüllung einer 70 Zentimeter langen, 35 Zentimeter hohen und 20 Kilogramm schweren Bronzetafel an der Columbuskaje, die den denkwürdigen Schritt des Meisters vom Truppentransporter auf das Festland an Ort und Stelle verewigt. Damals hatten sich 600 wildbewegte Fans sowie 52 Fotografen und Kameraleute eingefunden und erwarteten Mister Elvis Presley.

Die Kaje um den Truppentransporter „General G.M. Randall“ war weiträumig abgesperrt. Die Fans konnten kaum etwas sehen. Aber der Reporter der Nordsee-Zeitung (NZ), Heinz-Werner Stürzer hat die Szene festgehalten: „Nachdem 100 Soldaten mit ihrem Kleidersack auf der Schulter das Schiff verlassen hatten, schrie plötzlich eine weibliche Stimme so gellend auf, daß die meisten Photographen diesen Schuß verwackelten. Elvis erschien oben auf der Gangway. Der nächste Schuß auf ihn ging auch daneben, denn ein sechzehnjähriger kaufmännischer Lehrling stürzte sich vor die Objektive der Photographen und bat Presley um ein Autogramm. Als Elvis den Zug erreicht hatte, konnte er sich jedoch nicht mehr so leicht den Autogrammwünschen entziehen, denn nun rückte ihm das Küchenpersonal der Deutschen Schlafwagengesellschaft auf den Leib. Ein Hafenarbeiter steckte ihm sogar einen Lottoschein durch das Abteilfenster. Elvis unterschrieb (NZ vom 2. Oktober 1958).“

Etwas von dieser Atmosphäre wollen die VeranstalterInnen der Elvis-Tage wieder wachrufen. Zum Höhepunkt des Spektakels soll am Samstag, 3. Oktober, die Uraufführung des Elvis-Musicals werden, das Intendant Peter Grisebach beim Bremer Komponisten Uwe Nielsen in Auftrag gegeben hat. „One Night – Elvis in Bremerhaven“ – so der Arbeitstitel – will die Story vom Aufstieg des braven Fernfahrers und Kirchenchorsängers erzählen, der von den Erwachsenen verhöhnt und dann von den Kids in der ganzen Welt zum Idol gemacht wird. Nicht nur zweieinhalb, sondern 24 Stunden, so die schöne Musical-Fiktion, hält er sich in Bremerhaven auf und stürzt die ganze Stadt in einen Taumel. Der Stadt, deren „Tor zur Neuen Welt“ längst geschlossen ist, kann das nostalgische Fieber nur gut tun. Hans Happel

Die Premiere im Stadttheater am 3. Oktober ist fast ausverkauft. Für weitere Aufführungen sind noch Karten zu haben. Auch der Vorverkauf für die Rock'n'Roll-Nächte im Columbus-Bahnhof – mit Elvis-Bands und -Imitatoren sowie dem Urgestein Ted Herold – hat begonnen. Weitere Infos unter Tel.: 0471/94 64 64 0

Fotos aus: „Harte und wilde Zeiten“ von Georg Schmidt, Johann Heinrich Döll Verlag, 1991, 39,80 Mark; Montage: taz

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen