piwik no script img

Ankunft der Medienpartner

In Berlin wird nicht mehr romantisch gescheitert, jetzt kommen die elektronischen Dienstleister. Behaupten jedenfalls die Gründer des Medienkongresses „BerlinBeta“, der heute mit viel Wirbel startet. Chance 2000, mal anders. Ist der Adler gelandet?  ■ Von Thomas Groß

Bislang war Berlin ja, hauptstädtisch und standorttechnisch gesehen, eher eine Wolke. Doch „der Countdown läuft“, wie es im Faltblatt zu „BerlinBeta“, einer neuartigen Medienmesse mit Festivalteil, hübsch spacig heißt. „Zeichen des Wandels“, „boomende Softwareindustrie“, „völlig neues Szenario“ – die gehen ganz schön ran!

Auch eine Pressemitteilung der Hamburger TV-Produktionsfirma „Me, Myself and Eye“ wartet mit einer „Super Nachricht“ für alle Musikfreunde auf: „Berlin wird Pop-Hauptstadt!“ Ab September – dann nämlich startet die im Auftrag von RTL produzierte Hitshow „Top of the Pops“ – sollen sich hier die „angesagtesten Music-Acts“ und Stars „die Klinke in die Hand“ geben. Die Büros werden in Kürze bezogen. Der Produktionsleiter: „Wir freuen uns riesig, daß es jetzt losgeht.“

Der Sound, bekannt aus Funk und Fernsehen, hat sich lange angekündigt, erreicht aber erst jetzt die basaleren Sensoren einer Stadt, in der beispielsweise das Bäckerhandwerk jahrzehntelang jeglichem Innovationsdruck standgehalten hat, in der Bevölkerung wie Politik weitenteils immer noch der Angleichung an die kommunikativen und ästhetischen Normen der Restrepublik trotzen.

Mitten in dieses „Reizklima“ hinein verspricht BerlinBeta – an diesem Wochenende startet der Kongreß – ein „ideales Forum für Ideenreiche und Existenzgründer“, ein Multimedia-Berlin der Synergien und elektronischen Dienstleister. Chance 2000, mal anders. Bahnt sich also ein Paradigmenwechsel an? Wankt die Gleichung „Einfallspinsel = Ausfallspinsel“, die bislang das Treiben all der angeschwemmten Versager, Künstlertypen und Kriegsdienstverweigerer bis hin zum Regierenden Bürgermeister im Sinne einer höheren Loser-Logik ausglich – und mit ihr ein eherner Grundatz der Berliner Ökonomie: Durchwurschteln als (Über-)Lebensprinzip?

Man vermag das nur vorläufig zu beantworten, weil BerlinBeta, ein Musterfall des hauptstädtischen Mediengründungsfiebers, selbst zunächst eines ist: Behauptung. Marc Wohlrabe, der 26jährige Hauptinitiator, macht daraus auch gar kein Geheimnis. Er beklagt die immobilen Strukturen der Politik und sieht sich selbst als „Helfer bei der Kreation von Stimmungen“. Es geht um das richtige Investitions- und Innovationsklima. Medienpartner, die sich tagsüber auf dem Kongreß austauschen, könnten zum Beispiel abends im Club eine zündende Geschäftsidee haben. Die dann weitere Kreise zieht. Das kann natürlich auch in die Hose gehen. Für die Anschubfinanzierung mit Landesgeldern steht Wohlrabe, als Chef des Partymagazins Flyer und Erbe des Filmverlags Jugendfilm selbst Medienunternehmer, mit seinem guten Namen gerade. Mit anderen Worten: Das Beta-Projekt ist Risikoinvestment erster Güte – insofern zunächst klassische Berliner Ökonomie.

Andererseits: Das Beispiel Potsdamer Platz hat gezeigt, daß, wo vorher eine leere Mitte war, ganz schnell ganz viel Architektur sein kann. Zu den gelungeneren PR-Aktionen der Stadt gehört es, ein großes Loch mit Kränen drumrum als „Schaustelle Berlin“ zu vermarkten: Hauptstadt als Wille und Vorstellung. Es hat etwas davon, wenn BerlinBeta seinen Namen aus der Softwareindustrie herleitet, wo Beta-Versionen „Produkte und Anwendungen auf dem Weg zur Marktreife“ darstellen. Das ist Innovationssprech für die Spree mit Experimentalbonus und eingebautem Bill-Gates-Faktor, echte Zukunftsmusik. Man kann es auch so sehen: Die Organisatoren, großenteils in der Clubszene sozialisiert, haben von der Popkultur gelernt. Pop knallt immer. Ständig werden Modelle entwickelt, die unablässig der Marktreife entgegenstreben. Und weil von der Popkultur lernen sowieso siegen lernen heißt, müssen Panels bei BerlinBeta mindestens unter „New Interfaces/New Visuals“ laufen. Anders kommuniziert sich das einfach nicht. Wer je Dieter Gorny, den Gründer der Kölner Popkomm, hat reden hören, weiß, wie simpel das ist. Und wie wahr.

Messemodelle kommen komischerweise immer aus Köln. Mit Ralf Plaschke, dem stellvertretenden Geschäftsführer der Popkomm, hat bei BerlinBeta erstmals Kölner Know-how Einzug gehalten. Entsprechend größer ist das Vorab-Hallo. Man darf von einem Relaunch sprechen: Im vorigen Jahr hieß die Veranstaltung noch „Jugendmusikfestspiele“ und funktionierte als Leistungsschau der Berliner Clubszene mit eher verstreuten, in der Nacht ohnehin weitgehend verklingenden Diskussionsanteilen. Im Wahljahr mit seiner angeheizten Stimmung – Stichwort „Berliner Republik“ – sind die noch an die verblichene DDR gemahnenden „Jugendmusikfestspiele“ ins Rahmenprogramm gewandert, ein Filmfestival ist hinzugekommen, während der in Windeseile erstellte Medienkongreßteil, nun, offizieller daherkommt. Jetzt diskutiert der Ex-Bausenator Volker Hassemer, mittlerweile Vertreter der „Partner für Berlin Gesellschaft für Hauptstadt-Marketing mbH“, mit Senatssprecher Axel Wallrabenstein die „Kultur-, Medien- und Entertainment-Stadt Berlin aus persönlicher Sicht“. Und ganz viele Krawattenmänner aus Babelsberg und anderswo grüßen im Programmheft aus ihrem Paßbild.

Die Wendung hin zu so viel Partnern hat aber entschiedenermaßen auch mit Marc Wohlrabe selbst zu tun. Wenn sich das neue Berlin der kreativen Jungunternehmer in einer Person kristallisiert, dann in ihm. Als Sohn des CDU-Politikers und Unternehmers Jürgen Wohlrabe kennt er das Senatsmilieu von klein auf, behandelt es aber auf einem ganz anderen Energieniveau. Streß, Geschwindigkeit, Bewegung, Überzeugungskraft – das sind die unverzichtbaren Bestandteile eines jeden Marc-Wohlrabe-Porträts (von denen es in letzter Zeit einige gab). Man möchte das zunächst für ein Reporterklischee halten, doch wer ihm gegenübersitzt, merkt schnell: Es stimmt alles. „Zuerst waren die Kreativen da“, „Ich wähle keine Ideologien, ich wähle Köpfe“ – solche Dinge sagt Marc, während er sein D'Artagnan-Bärtchen streichelt. Ein Hauch von Samurai ist auch um ihn, der Clubs besucht, aber drogenfrei lebt, „weil das einfach schlapp macht“. Ohne jeden Zweifel gebietet er über Charisma. Ein gewinnender Blick, ein Händedruck – schon ist man selbst ein Medienpartner.

Fast unbemerkt bleibt dabei, daß Wohlrabe ein unverblümt neoliberales Wirtschaftskonzept bevorzugt. Beziehungsweise, er sagt es ja selbst: „Ich stehe hinter Stollmann“ – vor allem hinter dessen Credo „Be the best you can be“. Diese strahlende, entwaffnende Offenheit ist eines seiner größten Geheimnisse. Er sagt immer, wie es ist. Man möchte mit ihm sämtliche Pferde stehlen. Und sitzen wir nicht alle in derselben Brainbox? Nie käme Marc Wohlrabe auf die Idee, bei BerlinBeta, das beträchtliche Teile der hiesigen Clubszene als Subteilhaber bzw. Zulieferanten integriert hat, ginge es zugleich um ganz schnöde Verteilungskämpfe im Hinblick auf ein erträumtes Multimedia-Super-Berlin – und wenn doch, zeigt er es nicht. Was aber sollten die flexibilisierten Arbeiter in den Fabriketagen der Zukunft auch anderes anbieten als ihr aus Szenezusammenhängen erworbenes Know-how?

Die Preisgabe eines „Mantels machtgeschützter Innerlichkeit“, wie Oskar Negt sie für die SPD- Altintelligenzija gefordert hat – sie steht hier, bei den Mitt- und Endzwanzigern, längst nicht mehr zur Debatte. Verhandelt wird das, was vom Techno übrigblieb: ein pragmatisches, ideologisch entkerntes, elektronisch geschultes Handeln und Denken, das mit den Restbeständen eines subkulturellen Rausches Anleihen auf die Zukunft zeichnet.

Etwas Avantgardistisches hat das nach wie vor – oder jetzt erst recht. In Marc Wohlrabes Wissen um Synergien, die symbolischen Ökonomien der Stadt, zeichnet sich ein neuer Typus von Intellektualität ab: der Unternehmer als gesellschaftlicher Energieträger, der Leute aus verschiedensten Bereichen für eine Geschäftsidee zu begeistern vermag, weil er keine Parteigänger mehr, sondern nur noch Macher kennt. „Die so verstandene intellektuelle Praxis des Definierens“, schrieb der Soziologe Heinz Bude unlängst auf diesen Seiten, „wirft immer eine politische Frage auf: die Mobilisierung von Verbündeten für eine Definition von Wirklichkeit.“ Jede Definition stelle nämlich eine Neuverhandlung des Gegebenen dar und enthalte die Aufforderung, sich an einem offenen Prozeß des Herumprobierens und Verhandelns zu beteiligen.

Wahrscheinlich meint Marc Wohlrabe so etwas, wenn er „Zynismus“ für eine überwundene Erscheinung der Achtziger hält und aus seinem Blatt, dem Flyer, verbannt sehen will. Er ist der Prototyp des Cyber-Unternehmers, der, wenn die Sachlage alternativlos geworden ist, sich lieber nicht mit Verlierern abgibt, sondern am Möglichen bastelt. Insofern stellt er tatsächlich ein Gegenmodell zum romantisch grundierten, dem Pathos der Künstlerexistenz verpflichteten Berliner Scheitern dar, das sich in dieser Stadt auch ohne Mauer so lange gehalten hat.

Schon wahr: Der Countdown läuft. Wer jetzt nicht online ist, wird es lange bleiben. Und sollte sich wärmer anziehen. Wer dranbleibt, kriegt zumindest was geboten für sein Geld. Die Beta-Vorberichterstatterin der Jugendbeilage der Süddeutschen formulierte es so: „Hauptsache, man bekommt das Gefühl, etwas Neuem beizuwohnen.“ Es klingt wie eine poppig illusionslose Stimme für Gerhard Schröder.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen