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Autonomer Theoretiker

Ganz einfach: Repariert jemand ein Fahrrad, um damit Geld zu verdienen, ist das klassische Erwerbsarbeit. Repariert jemand aber das gute Stück, um damit einen Ausflug zu machen, dann ist die Anstrengung im Gorzschen Sinne „autonome Tätigkeit“, selbstbestimmte Arbeit also. Erstere Form von Arbeit ist ein knappes Gut in der postindustriellen Gesellschaft. Exorbitante Arbeitslosenzahlen belegen dies. Autonome Arbeit hingegen kann nicht ausgehen. Höchste Zeit also, selbstbestimmtes Arbeiten genauso zu entlohnen wie Erwerbsarbeit, meint André Gorz. Im Grundeinkommen für alle sieht der französische Sozialtheoretiker die Lösung für die aktuelle Misere auf dem Arbeitsmarkt.

Die Theorien André Gorz' sind faszinierend. Bereits zehn Jahre vor Ulrich Beck hat der Wahlfranzose Bürgerarbeit, die bei ihm mit dem Begriff selbstbestimmte Arbeit weiter gefaßt ist, als Stichwort in die arbeitspolitische Debatte eingebracht.

André Gorz wurde 1924 in Wien geboren, die Kriegsjahre verbrachte der Sohn eines Juden im Schweizer Exil. Dort lernte er 1946 den französischen Philosophen Jean-Paul Sartre kennen, dessen Existentialismus Gorz' Theorien stark beeinflußt hat. Sartre wurde in den folgenden Jahren zu seinem Mentor: Er verschaffte Gorz Auftragsarbeiten und machte ihn zum Mitarbeiter seiner Zeitschrift Les Temps modernes. Dies war der Beginn Gorz' publizistischer Karriere: Als stellvertretender Chefredakteur des Nachrichtenmagazins Le Nouvel Observateur beschäftigte sich der nach eigenem Bekunden „gläubige Marxist“ vor allem mit wirtschaftlichen und sozialen Fragen. Schon bald galt der Fürsprecher der Arbeiterselbstverwaltung als einer der Theoretiker der linken Arbeiterbewegung.

In den Siebzigern griff Gorz die Themen der politischen Ökologie auf. Neu war, daß der Sartre- Schüler die Ökologie nicht isoliert betrachtete, sondern als Teil der sozialen Frage. Seine „Wege ins Paradies“ wurden zum Kultbuch der ökologischen Linken. Doch Gorz ist innerhalb der Linken nicht unumstritten. Der Grund: In den achtziger Jahren gab er sukzessive seinen Glauben an den Marxismus auf, da dessen Analysekategorien seiner Ansicht nach für die moderne Gesellschaft nicht mehr taugten. Sein Buch „Abschied vom Proletariat“ brachte ihm daher den Vorwurf der dogmatischen Linken ein, er habe Verrat an der Arbeiterklasse geübt.

Gorz lebt heute auf dem Land im Burgund und arbeitet zurückgezogen als Rentner-Schriftsteller, wie er sagt. Für ihn ein idealer Mix aus autonomer Arbeit und Erwerbsarbeit. Seinem Thema, der Arbeitsgesellschaft, bleibt er dabei treu. Letzten Herbst erschien sein neuestes Buch „Misères du présent – Richesse du possible“, zu deutsch „Miseren der Gegenwart – Reichtum des Möglichen“. uta

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