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Fest der Superlative

■ Musikfest: Billiges Marketing für teure Hochkultur

Natürlich. Es geht immer nur um die reine, edle Musik. Muß man sie nicht endlich der breiten Masse nahebringen (als hätte nicht jeder seine 99 Mark-Universalklassiksammlung im Sonderangebot im Wohnzimmer, nur 4,95 Mark die CD, als würden wir nicht Klassikhits aus der Nestlewerbung kennen)? Aber das geht heute leider nicht ohne „Partner“ aus der Wirtschaft. Meint Musikfestchef Thomas Albert. Auf Pressekonferenzen und bei den Vormittagswerbesendungen fürs Musikfest auf Radio Bremen hagelt es deshalb nur so von Firmennamen, gegeseitigen Grandiosisitätsbescheinigungen von Wirtschaft und Musikmarketing, knallharter ökonomischer Terminologie. Eine Radio Bremen-Moderatorin ist nach ewigem Rauf- und Runterdeklinieren von Begriffen wie „Standort“, „großes Volumen“, „gut bedient“ bald so kirre, daß sie – wohlgemerkt gänzlich unironisch – Gidon Kremer als „sinnlichstes Produkt des Musikfests“ rühmt. Als stände er in direkter Konkurrenz mit Chanelparfum und Büstenhalter. Viel ist die Rede von Firmenphilosophien und Marketingstrategien gewisser Möbelhäuser, nur wenig von der Musik. Und das, obwohl es doch „um die Musik geht“. Die wird reduziert auf Superlative: Der Adjektivbestand Thomas Alberts beschränkt sich auf reflexionsfeindliche Verzückungskundgebungen wie: hervorstechend, einzigartig, sensationell. Ganz klar, der Mann bräuchte ein Synonymlexikon. Ein „gnadenlos guter Verkäufer“ wird er denn auf Radio Bremen genannt, voller Anerkennung. Nur Etabliertestes wird nach Bremen geladen. Das verlangt den Festivalherren kein Fünkchen von Mut oder Entdeckerfreude ab. Aber wenigstens bietet ja Andrea Bocelli ein „neues Repertoire“. Aber auch hier, kein Wort zu den Inhalten, nur Megalomaniesüchteleien zur Besetzung: 90 Sänger, 250 Musiker. Ein Rekordbuchhaltertum, das man sonst nur von Rolling Stones-Touren (27 Sattelschlepper) kennt. Und außerdem spendet „das größte deutsche Geldinstitut einen der höchstdotierten Musikpreise“. Achtung, Superlativballung.

Mit den Ex-Revolutionären Gardiner und Harnoncourt kommen schon seit Jahren die „meistverkaufenden“ Dirigenten nach Bremen. Eigentlich eine Bescheinigung der eigenen Einfallslosigkeit. Vor allem, wenn man die Geschichte der Historischen Aufführungspraxis bedenkt. Mit diktatorischer Strenge setzten sich einst deren Missionare für die Treue zum Dokument ein. Nicht nur um das flüchtige Ding namens Wahrheit ging es bei der Abspeckung des Instrumentariums und der Entschlackung der Gesangsstimmen von allzu sentimentalem Vibrato. So manche Interpreten nahmen für sich in Anspruch, mit Hilfe der zarteren, subtileren Klänge einen Musikbetrieb zu knacken, der zur Selbstdarstellung einer Klasse verkommen ist oder Beethovens Neunte zum Abfeiern der Wiedervereinigung mißbraucht. Jesusschlappen, Indienrock und der Verzicht auf Pausenprosecco waren weniger Zeichen miesen Geschmacks als ethisches Programm. Die Suche nach der Wahrheit ist dahingeschmolzen, das Streben nach revolutionierenden Tönen aber geblieben. Auf ernstgemeinten Festivals Alter Musik erlebt man noch immer neue Bogentechniken, seltsame Tempovorstellungen. Dort waren „Anonymous 4“ vor sechs, sieben Jahren. Dieses Jahr sind sie in Bremen. Mit Hildegard von Bingen! Statt durch Entdeckerfreude, ist das Musikfest getrieben von einer Art Leistungssportehrgeiz: es gilt ein „Projekt zu stemmen“, „bisherige Zahlen zu sprengen“.

Nur Klaus Maria Brandauer redete auf der gestrigen Pressekonferenz über Kunst: über den Wunsch, in seiner Peer Gynt-Adaptation, Sprache und Musik zu einem einzigen Instrument zusammenfließen zu lassen und über die Wichtigkeit von „Besinnungsecken“ im „Zeitalter lärmender Angebote“

. Barbara Kern

Kleine Programmänderungen: Zigeunergeiger Roby Lakatos spielt wie vorgesehen heute, 23 Uhr, umsonst; allerdings im Rathaussaal statt open air; Hilliard spielt nächsten Freitag in der Liefrauenkirche statt im Dom.

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