American Pie: „Ich kann Rückhand“
■ US Open: Gnadenlos retourniert Ivanisevic die Verbalangriffe von Mark Woodforde
With no time left to start again
Liebend gern hätte Mark Woodforde, Tennisprofi aus Adelaide in Australien, noch ein paar Spiele mehr bestritten in der Einzelkonkurrenz bei den US Open in New York als nur dieses eine in der ersten Runde. Doch Goran Ivanisevic, der gefürchtete Hochgeschwindigkeitsaufschläger aus Kroatien, war über ihn gekommen und hatte ihn binnen 87 Minuten 6:3, 6:4, 6:4 ziemlich problemlos aus dem Wettbewerb gekippt.
Woodforde war sauer, und zwar so sehr, daß er freundlich, aber bestimmt ein paar abfällige Worte verlor über den Haudrauf-Stil seines großgewachsenen Bezwingers. An Woodforde müssen im Geiste noch einmal Ivanisevics 23 Asse vorbeigerauscht sein, als er stänkerte: „Bei Ivanisevic passiert nichts außer ein gewaltiger Aufschlag.“ Das sei ja ein „wundervolles Service“, was der Kollege da vorführe, „sehr natürlich“. Aber: „Wenn ich bezahlt hätte, würde ich ihm nicht zuschauen.“
Besonders originell war diese Polemik allerdings nicht. Seit Jahren verfolgt Ivanisevic der Vorwurf, mit seinem Brachial- Service, das kaum gepflegte Ballwechsel zuläßt, den Leuten den Spaß am Tennis zu vergällen. Keiner bringt den Ball so hart ins Spiel wie er, keiner hat 1997 mehr Asse geschlagen. Und bei keinem anderen Spieler werden die Stärken so sehr auf den Aufschlag reduziert.
Immer wieder muß Ivanisevic erklären, daß es auch noch ein paar anderer Tugenden bedurfte, um zwischen 1989 und 1996 ununterbrochen unter den ersten zehn in der Weltbestenliste zu stehen. „Ich kann schon auch Rückhand und Vorhand“, sagt Ivanisevic. Von Woodforde, mit 32 Jahren zweitältester Spieler im Feld hinter Gianluca Pozzi (33, Italien), will er sich schon gar nicht schelten lassen, weshalb er wütend vorschlug: „Woodforde sollte als Einzelspieler zurücktreten.“ Denn „er schaut armselig aus auf dem Platz, ziemlich alt und unbeweglich. Und mit seiner Scheiß-Rückhand kann er überhaupt niemanden schlagen.“
Es ist eben nicht angenehm, wenn einem ständig der Gebrauch seiner wertvollsten Waffe vorgeworfen wird. Ivanisevic gibt zu: „Ich ziehe sehr viel Selbstvertrauen aus meinem Aufschlag. Wenn er funktioniert, funktioniert alles andere besser.“
Sein Service hat ihm in diesem Jahr geholfen, auf Gras ins Finale von Wimbledon vorzudringen, das er gegen Sampras verlor, nachdem ihm zuvor eine häßliche Serie von fünf Grand- Slam-Turnieren mit nur einem Sieg unterlaufen war.
Seine Schlagkraft macht ihn zu einem der ersten Favoriten bei den US Open. Vor jedem Turnier läßt der Amerikanische Verband die Plätze aufs neue mit dunkelgrünem Hartgummi ausgießen, diesmal offensichtlich mit einer Mischung, auf der die Filzbälle mehr denn je an Tempo zulegen. Ivanisevic ist das auch schon aufgefallen, und es hat seine Laune nicht verschlechtert: „Ich mag das.“
Nach seinem schnellen Erstrundenerfolg fand sich übrigens ein prominenter Fürsprecher seiner umstrittenen Kunst. „Man muß das schätzen, wie dieser Kerl aufschlägt“, sagte Pete Sampras, der mit Marc-Kevin Goellner (6:3, 6:2, 6:2) keine Probleme hatte: „Ich schaue Ivanisevic irgendwie gerne zu; bei ihm weiß man nie, was passieren wird.“ Wahrscheinlich war genau das Woodfordes Problem. Thomas Hahn, New York
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