Hexisch plus häuslich

■ Zum 65. Geburtstag von Irmtraud Morgner. Eine tief berührende Hommage von Freunden

65 Jahre alt wäre sie vor einer Woche geworden. Was wäre aus den Textfetzen zu Irmtraud Morgners letztem, unvollendetem Roman geworden, hätte sie ihr Leben fertig leben können? Das vermochte auch Rudolf Bussmann nicht zu sagen. Er, der alles geordnet und soeben unter dem Titel „Das heroische Testament“ herausgegeben hat, sprach statt dessen vom Übermut, mit dem sie den letzten Roman begonnen hat, von einer Position, die sie erschreiben wollte, die sich mit der Wirklichkeit aber nicht deckte. Davon, wie sie den Roman weglegte und wieder von neuem begann, sich eine utopische Liebesgeschichte aus den Rippen schnitt, in der sich eine Frau den idealen Mann aus den Rippen schneidet. Daß sie die Hoffnung kurz vor ihrem Tod aufgegeben habe, stritt er ab. Vielmehr habe sie die Fragestellung umgekehrt: Statt nach dem Weg zur Utopie zu fragen, fragte sie nun nach der Utopie selbst. Was wäre wirklich dran gewesen am Happy- End, der zurückgewonnenen Stimme, der Wiedervereinigung der hexischen mit der häuslichen Hälfte der Frau?

Die verlorene Utopie, das war genau der wunde Punkt, an dem sich an diesem Abend alle erschienenen Autoren trafen, gegen den sich jeder auf seine Art und mit Entsetzen wehrte. Der ganz private Kampf um die Hoffnung der Morgner war es, der diese Hommage so trostlos und berührend machte.

Helga Schütz las aus einem Fragment des „Heroischen Testaments“, das von einem Telefonat Morgners mit ihrer Mutter erzählt. „Kostüme, Künstler und Küssen sprach Mutter nur mundartlich aus“, las sie und sprach dabei, am ätzenden Witz Morgners festhaltend, Künstler, Kostüme und Küssen mundartlich. Als müsse sie noch immer darüber hinwegkommen, daß Morgner zuletzt immer „so kalt ums Hirn“ war. Humor als letzter Rettungsanker war auch das Thema Kerstin Hensels und Jens Sparschuhs. Sparschuh erspann einen Spaziergang mit Morgner im „dusteren Pankow“, was schlimm gewesen sei, weil erstens der Mond weg war und zweitens ein „wegger Mond am Himmel“ schlimmer sei als ein „abber Knopp am Mantel“. Karl Mickel las preußisch-soldatisch durchgestylt ein Gedicht Morgners über die Notwendigkeit des Zweifels.

Am stärksten wehrte sich Christa Wolf gegen ihre Angst, daß Irmtraud Morgner zuletzt aufgegeben haben könnte. Weil sie Morgners immer größer werdender „Desillusionierung bis in die Knochen“ ausweichen wollte, las sie statt dessen aus ihrem letzten vollendeten Roman, „Amanda“. Oder wollte sie zeigen, daß auch das darin versprochene Glück nie hätte ungebrochen sein können? Daß die tödliche Krankheit, „der Krebs als Folge der Verkrampfung“, die zunehmend enge autobiographische Verstrickung mit ihren Figuren, schon immer angelegt war und daher in den Fragmenten zur Vollendung kam? Schon die Ironie der letzten siegesgewissen Worte aus Morgners schönstem Roman ist nicht wirklich übersehbar: „Sonntags versprühten Flugzeuge der Interflug goldene Worte der Trobadora über die Spaziergänger. Da überwand die Proletarische Solidarität ihre Bewohner, international bewährt, sogar die Barriere der Familie. Denn natürlich war das Land ein Ort des Wunderbaren.“ Susanne Messmer