: Jammer ohne Ende auf dem Alten Schlachthof
Fünf Jahre nach der Ausweisung als Entwicklungsgebiet blüht auf dem Areal des einstigen Zentralviehhofs nur das Unkraut. Obwohl der Senat bereits 210 Millionen Mark investiert hat, ist kein einziges der geplanten Projekte realisiert. Statt dessen dominiert der Verfall ■ Von Kathi Seefeld
Immerhin, der Dornige Schildfarn entwickelt sich „prächtig“. Das jedenfalls teilte die landeseigene Stadtentwicklungsgesellschaft Eldenaer Straße (SES) in ihrer Hauspostille mit. Seit hundert Jahren galt das Pflänzchen in Berlin als ausgestorben, vor drei Jahren wurde es auf den Gelände des Alten Schlachthofs zwischen den Bezirken Prenzlauer Berg und Friedrichshain wieder entdeckt. Ansonsten aber mickert das 50 Hektar große Areal zwischen Landsberger Allee, Eldenaer Straße und Bahntrasse vor sich hin – fünf Jahre nachdem der Senat es zum Stadtentwicklungsgebiet erhoben hatte.
Die historischen Gemäuer des zwischen 1879 und 1881 entstandenen Berliner Zentralvieh- und Schlachthofs wurden in den Vorjahren zum größten Teil abgerissen, viele Gewerbetreibende verließen das Gelände. Seither ist nur die 1992 gegründete SES selbst in die für annähernd 3 Millionen Mark sanierte Direktionsvilla an der Thaerstraße eingezogen.
Die mit 505 Metern längste Fußgängerbrücke Berlins, die seit 1939 die Bezirke Friedrichshain, Prenzlauer Berg und Lichtenberg verbindet, wurde für 2,7 Millionen Mark erneuert. Allerdings nur auf einer Strecke von 85 Metern zwischen dem S-Bahnhof Storkower Straße und dem Einkaufs- und Bürozentrum „Storkower Bogen“. Auf dem Abschnitt aber, der das Schlachthofgelände kreuzt, wird der „Lange Jammer“ seinem Namen noch immer gerecht. Nach wie vor fegt der Wind durch die kaputte Brückenverglasung. Verfall statt Entwicklung vor den Augen der Berliner.
Bündnisgrüne und PDS hatten im Abgeordnetenhaus schon Anfang letzten Jahres die Auflösung der Stadtentwicklungsgesellschaft gefordert. Die Pläne für den Alten Schlachthof seien unrealistisch, stellten sie übereinstimmend fest. Um das Gebiet wirklich zu entwickeln, sollte das Areal ihrer Meinung nach in die Obhut der Bezirke Prenzlauer Berg und Friedrichshain übergehen. Doch der Senat bestand auf dem Entwicklungsgebiet.
Ab 1999 soll alles besser werden. Der Geschäftsführer der SES, Rainer Klaus, kündigte den Beginn erster Hochbaumaßnahmen auf dem Gebiet an, das einmal rund 2.000 Wohnungen für etwa 4.500 Bewohner und zirka 5.000 Arbeitsplätze beherbergen soll. Vorher müßten allerdings die drei Firmen, die auf dem Gelände noch ansässig sind, das Schlachthofareal räumen. Der Teppich-, der Fliesen- und der Holzmarkt hatten die Grundstücke zwar 1990/91 von einer Treuhandfirma gekauft, die Verträge wurden aber nie ins Grundbuch eingetragen. Im November, so Rainer Klaus, werde das Bundesverwaltungsgericht über die Räumungsklage verhandeln.
Sollten die drei Firmen vor Gericht unterliegen, können sie sich erneut um einen Platz auf dem Schlachthofgelände bewerben – in einem öffentlichen Bieterverfahren für den östlichen Teil des Areals. Weitere Einzelhandelsmärkte sollen in den vier ehemaligen Schweineschlachthallen an der Landsberger Allee entstehen.
Bei der Auswahl der Interessenten kann Rainer Klaus nicht wählerisch sein. Die Stadtentwicklungsgesellschaft braucht jeden Pfennig. Fatal für diesen Standort wirkt sich auch aus, daß alle fünf Entwicklungsgebiete dem Land nichts einbringen, sondern nur Geld kosten – und das zu einer Zeit, in der Berlin ohnehin pleite ist.
Die Entwicklungszeit für den Alten Schlachthof wurde schon um sechs Jahre auf das Jahr 2010 gestreckt. Von den ursprünglichen Plänen ist nach dem Kassensturz des Senats kaum etwas übriggeblieben. Der Anteil an geförderten Wohnungen, der anfangs rund 85 Prozent der geplanten Quartiere ausmachte, ist drastisch geschrumpft. Auch von einem gänzlich autofreien Areal ist längst keine Rede mehr. Dennoch sind seit 1993 bereits 210 Millionen Mark in die Entwicklung des Schlachthofgeländes geflossen. Knapp 400 Millionen Mark sollen bis zum Jahr 2010 aus Landeskasse und Treuhandvermögen für die Entstehung der vier Stadtviertel investiert werden.
Durch den Verkauf der im Wert gestiegenen Grundstücke an private Investoren sollen die Gelder wieder in den Haushalt fließen. Deshalb ist die SES besonders erfreut darüber, daß die Donaueschinger Objekt-Marketing GmbH (OMG) die vier Hallen übernehmen will, in denen einst Schweine geschlachtet wurden. Sie sollen in einen Frischemarkt, eine Kunstwerkstatt und Orte der „Erlebnisgastronomie“ umgewandelt werden. Für ein neues Handels- und Dienstleistungszentrum seien die Verträge bereits unterzeichnet worden, heißt es bei der Entwicklungsgesellschaft.
Auch für die 550 Wohnungen, die ein Hamburger Unternehmen gleich hinter dem OMG-Projekt errichten will, könnte nach SES- Angaben bereits im kommenden Jahr Baubeginn sein. Außerdem soll eine Behindertenwerkstatt mit 260 Arbeitsplätzen auf dem Areal entstehen. Die SES selbst will als Bauherrin im Februar 1999 an der Thaerstraße die zweite Fußgängerbrücke über die Eisenbahn abreißen. Die neue Verbindung soll ab dem Jahr 2000 auch für Autos nutzbar sein. Auf ein Provisorium will die SES verzichten, um Kosten zu sparen.
Vom alten Schlachthof sind nach den Abrißarbeiten nur noch wenige Gebäude vorhanden, darunter die Lederfabrik Steinlein, der Wasserturm und die Darmschleimerei. Sie stehen inzwischen unter Denkmalschutz, erste Nutzungskonzepte liegen vor.
Dennoch sind die Prognosen darüber, was an Erlösen aus den Grundstücksverkäufen der SES in die Landeskasse zurückfließen wird, vage. Das Geschäft mit Büros und Immobilien läuft in Berlin bekanntermaßen alles andere als gut. SES-Geschäftsführer Rainer Klaus will die Summe der öffentlichen Gelder, die auf dem Areal verbaut werden, auf 140 Millionen Mark begrenzen.
Was er damit von den derzeitigen Plänen bis zum Jahr 2010 verwirklichen kann, wird sich zeigen. Falls das Areal dann immer noch vor sich hin mickert, bleibt den Berlinern immer noch der Trost, daß wenigstens der Dornige Schildfarn blüht und gedeiht.
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