: Wie ein superguter Videoclip
■ Fast drei Stunden lang stülpten die alten Recken der Rolling Stones eine Lärm- und Lichtglocke über ganz Bremen
Fuck. Fuck it. Kollege zott meinte/klagte/drohte, er lese keine Texte mehr über die Rolling Stones, weil über die Stones schon alles Denk- und Undenkbare geschrieben worden sei. Nichts Neues mehr unter der Sonne. Aber da zott ein Liebhaber von Unflat ist, könnte vielleicht ein kleiner, derber Fluch seine Neugier wecken und zum Lesen verführen. Also: Fuck it, zott, put-put-put.
So, nachdem nun ein origineller Einstieg für diesen Text mit Würde absolviert wurde, soll nicht verschwiegen werden, daß auch die Stones einen klugen Anfang für ihr Konzert fanden. Aus Geräuschgewabere, bei dem es sich vermutlich um O-Ton-Aufnahmen aus der Zeit vor dem Urknall handelt, tauchte „Satisfaction“ auf. Klar, wer Befriedigung hier und jetzt fordert, kann mit seinen ersehnten Hits nicht bis zum Konzertende warten. Den Sounddesignern ist es gelungen, ein ganzes Fußballstadion zu einem riesigen Klangkörper umzufunktionieren, dessen akustische Ausdünstungen dem Vernehmen nach bis nach Oldenburg (zumindest aber bis nach Schwachhausen) zu hören waren. Und diese Ausdünstungen entsprachen den Erwartungen: Also kein portugiesischer Fado, keine frühbarocke Harfenmusik, sondern ein Mick Jagger, der aus einer ekelhaften Erscheinung namens Maul-weit-Aufreißen eine faszinierende Kunst macht. Kostproben von Keith Richards als Sänger fielen demgegenüber deutlich ab: Unglaublich, daß der Mann in seinem Alter und mit seinem Verknitterungsgrad noch immer nicht weiß, daß man sich mit einem Genie tunlichst nicht messen sollte. Bläserchöre pfefferten mal mehr mal weniger eigenwillig dazwischen. Im Großen und Ganzen aber wurde der Klang verschont von zuviel Ausstattungszauber.
Bemerkenswert war also vor allem die Bühnenoptik. Was vor dem Konzert wie eine große, lächerliche Toreinfahrt aussah – zwei Säulen, dazwischen ein Bogen – glitzerte nach Anwerfen der Lichtmaschinen wie ein Edelstein. Hunderte von kleinen Lichtpfeilen schossen über gigantomanische Stoffbahnen. Der Schmuckfachmann würde von einem begnadeten Schliff sprechen. Mal war die Toreinfahrt ein Saphir, mal ein Smaragd, Rubin, Bernstein oder Opal. Die Lichtschöpfer hatten ein Faible fürs Einfarbige oder für subtile Reibereien zwischen Türkis und Blau, also, so etwas wie Geschmack. Die unendlichen technischen Möglichkeiten eines Megaevents führten ausnahmensweise mal nicht zu peinigenden Manifestationen ungezügelten Spieltriebs: kein Requisitenramsch, keine Tumulte von Tänzern oder Maschinen. Die einzige metaphorische Entgleisung wurde sichtbar, als mit viel Trara die Riesenvorhänge weggezogen wurden: eine Sphinx, also ein riesiger Busen mit ein paar Restkörperteilen dran.
Mit der perversen Grundsituation eines Liveerlebnisses, das ohne unlivige technische Vermittlung nicht mehr klarkommt, ging man ausgesprochen klug und ehrlich um: Die Videoleinwand wurde nicht wie gewohnt als eine unvermeidliche Peinlichkeit auf die Seite der Bühne gerückt, sondern durfte mitten im Zentrum prunken, und zwar rund, sentimental und schnörkelig gerahmt wie die Halsmedaillons unserer Großtanten. Da drinnen zu sehen war manchmal sogar hohe Kunst: Ein riesiger Gitarrenhals vor einem winzigen Jagger; ein unscharfes Abtasten des Trompetentrichters; ein besorgniserregendes Zoomen in die Mundhöhle der erstklassigen Backsängerin hinein. Diese wurde gelegentlich genauso prominent dargestellt wie Jagger himself: Ein Stück Antihierarchie mitten im Starkult. Manchmal hoppelte das Videobild, zeitlupte, stand still, wurde grobkörnig und schwarzweiß; dann wurde Jaggers knallgelbes T-Shirt hellgrau.
Ein Stück weit verwirklicht wurde hier also der alte Traum einer Technik, die nicht Selbstzwecken nachgeht, sondern im Dienste des Menschen steht. Und nachdem 30.000 Zeiger die 10-Uhr-Marken von 30.000 Uhren überschritten hatten, vollendeten die Stones sogar das Ideal/Idyll der Rockschuppencredibility. Sie marschierten in die Mitte der Arena und rockten so wie Gott sie schuf. Nicht nackt, aber ohne Toreinfahrt, Sphinx und Großtantenmedaillon: ein paar Bretter, die Stones und Du. Zu der Unmenge von Dus zählte übrigens auch jene Fuhre von Glückseligen, welche die Veranstalter in letzter Minute umsonst ins Stadion ließen mangels Masse an Zahlenden. Schließlich ist auch bei solchen Ausstattungsevents das unverzichtbarste Requisit noch immer ein Meer von Zuhörerköpfen – zumal das Bremenkonzert von Sat 1 aufgezeichnet wurde.
Nach der puristischen Zwischeneinlage auf kleiner Rockschuppenbühne explodierten dann am Ende doch noch mal die Lichtmassen gen Himmel. Am Vormittag darauf saß Kais neunjähriger Junge am Zeichentisch, angestrengt bemüht das Feuerwerk und die Bühnenshow aufs Papier zu bannen. Zur selben Zeit waren wohl Dutzende von Müllmännern damit beschäftigt die Bierdoseninvasionen Tausender von Wegelagerern vor dem Stadion zu beseitigen. Ja, so ein schönes Konzert wirkt nach, fuck it. bk
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