Westblick sichert Vorsprung

Die russische Krise trifft nicht alle Länder in Mittel- und Osteuropa gleichermaßen. Das westlich orientierte Ungarn hat die besten Chancen, heil davonzukommen  ■ Aus Bukarest Keno Verseck

Trifft uns die Krise in Rußland? Und wenn ja, wie hart? Seit der Rubel sich auf Talfahrt begeben hat, werden diese Fragen auch in den mittel- und südosteuropäischen Ländern hin und her diskutiert. Die ersten Folgen an den Börsen der Region zeigten sich dann Ende der vergangenen Woche. Den größten Sturz registrierte die Budapester Börse, als der Index um 14 Prozent fiel. Nicht ganz so heftig ging es an den Finanzmärkten in Sofia und Bukarest zu. Doch auch hier sackten die Kurse nach unten. In dieser Woche haben sie sich wieder einigermaßen stabilisiert. Eine Entwarnung für die betroffenen Länder bedeutet das jedoch nicht.

Deshalb hat die ungarische Regierung Maßnahmen getroffen, um das Land vor weiteren Auswirkungen der russischen Krise zu schützen. Während sie die gleitende Abwertung des Forinth, die am 1. Oktober mit 0,1 Prozent beginnen sollte, erst einmal zurücknahm, stützte die Nationalbank die ungarische Währung mit Käufen.

Das seien jedoch reine Vorsichtsmaßnahmen, sagte der ungarische Wirtschaftsminister Attila Chikan. Langfristig werde Ungarn wohl weniger betroffen sein als andere osteuropäische Länder. Die Geschäfte mit Rußland und den GUS-Staaten machen nur einen Bruchteil des gesamten Außenhandels aus. Man könne sogar darauf hoffen, heißt es aus dem Finanzministerium, daß Investoren, die aus Rußland abwandern, in Zukunft Budapest als Basis wählen. Auch Außenminister Janos Martonyi macht auf Zuversicht. Bei einem Treffen mit seinem polnischen Amtskollegen Bronislaw Geremek am Dienstag in Warschau erklärte er, daß Polen und Ungarn die Auswirkungen der russischen Krise gleichermaßen gut verkraftet hätten, sei nicht nur ein Zeichen für eine gesunde Wirtschaft, sondern auch dafür, daß die beiden Länder eigentlich schon zum Westen gehörten.

Tatsächlich werden die langfristigen Folgen der russischen Krise für Bulgarien und die Ex-Sowjetrepublik Moldowa schwerer zu verkraften sein. Bisher ist die bulgarische Landeswährung Lew, die an die D-Mark gekoppelt ist, noch nicht deutlich geschwächt worden. Eine weitere Abwertung des Rubels, warnen Präsident Petar Stojanow und Ministerpräsident Iwan Kostow, müßte sich jedoch nachteilig auf den bulgarischen Außenhandel auswirken – Bulgarien wickelt noch immer einen Großteil seiner Exporte über Rußland ab.

Schon jetzt deutlich angeschlagen ist die Ex-Sowjetrepublik Moldowa. Das Land wickelt zwei Drittel seines Außenhandels mit Rußland ab. Durch die Abwertung des Rubels hat es bereits hohe Exportverluste hinnehmen müssen. Sie erwischte das Land zu einer äußerst ungünstigen Zeit: mitten in der Exportsaison für seine Agrarprodukte. Leidtragende sind nicht nur die Landwirte und die großen Staatsfirmen, sondern auch viele Kleinhändler, die Geschäfte mit Rußland machen. Finanzminister Anatol Arapu kündigte am Dienstag an, daß Moldowa den Internationalen Währungsfonds (IWF) um Zusatzkredite angehen werde, mit denen sie die bisherigen Verluste decken will.

In Rumänien dagegen sind die direkten Folgen der russischen Krise noch wenig abschätzbar. Zwar hat die Bukarester Regierung für die Abwertung der Landeswährung Leu in den letzten Tagen die Krise in Rußland verantwortlich gemacht. Aber Rumänien ist selbst von einer hausgemachten politischen und wirtschaftlichen Krise betroffen und könnte bald von ganz allein in eine ähnliche Situation wie Rußland gelangen. Wie bedrohlich die Lage in der Tat schon ist, zeigt eine Geste des Internationalen Währungsfonds: Der IWF-Unterhändler für Rumänien, Poul Thompson, traf am Dienstag in Bukarest zu einem Sonderbesuch ein.