Selten hat das Bonner Theaterpublikum einer Vorstellung so entgegengefiebert. Kein Wunder: „Das Duell“ wird nur alle vier Jahre aufgeführt. In der Rolle des „Alten“ brillierte erneut Helmut Kohl, der „Erneuerer“ war erstmals mit Gerhard Schröder besetzt. Minimalistische Handlung, seltene Dia- und viele Monologe, aber dennoch: Welch ein Theater! Aus Bonn Bettina Gaus

Sondervorstellung vor ausverkauftem Haus

Das Interesse war gewaltig, der Andrang riesig. Schon kurz nach Beginn des Vorprogramms waren auf dem Rang nur noch Stehplätze zu haben. Dort mischten sich die Kritiker mit den Gästen auf unnumerierten Plätzen. Im Parkett und in der Loge saßen die Abonnenten. Auch sie waren am frühen Morgen fast vollzählig erschienen.

Bereits der Auftakt versprach eine subtile Inszenierung im Geist des Symbolismus. Zwar stammte das Bühnenbild aus dem Fundus, aber die Kostümbildner dieses ersten Hauses am Platz verstehen sich auf den spielerischen Umgang mit der Signalwirkung von Farben. Sie banden beiden Hauptdarstellern sanftrote Krawatten um – ein Hinweis auf die versöhnliche Botschaft des Stücks, daß unabhängig vom Ausgang des Kampfes der Giganten revolutionäre Umwälzungen nicht zu erwarten sind und die Kontinuität gewahrt bleiben wird.

„Das Duell“ ist ein Stück, das alle vier Jahre schon lange in wechselnden Besetzungen gern in den Spielplan aufgenommen wird. Der Inhalt ist rasch erzählt: Auf einer hintergründigen Meta-Ebene geht es um die Beschäftigung des Theaters mit sich selbst. Der „Erneuerer“, zum ersten Mal mit Gerhard Schröder besetzt, und der „Alte“, dessen Part wieder einmal Helmut Kohl übernahm, ringen darum, wer in der nächsten Spielzeit die Hauptrolle in der Inszenierung „Der Staatsmann“ übernehmen darf. Das Stück bezieht seine besondere Spannung aus der lebendigen Interaktion mit den Zuschauern, die am Ende sogar selbst über den Schluß entscheiden dürfen. Allerdings erst einige Wochen nach der Aufführung.

Obwohl die große Zahl von Kameras und Fotografen in der Umgebung des Theaters einen Publikumserfolg versprachen, war Gerhard Schröder nicht ganz glücklich mit der Bühne. Er, der stets vor allem an den Filmrechten seines Schaffens interessiert ist, trug dem „Alten“ erneut seinen Wunsch vor, die „Lage der Nation“ vor den Kameras des deutschen Fernsehens darzustellen. Aber der zeigt daran wenig Interesse. Er spielt lieber in Ein-Personen-Stücken. Von denen gibt es besonders viele im Genre des absurden Theaters, und ganz kurz schimmerte bei Kohl gestern durch, daß er auch dort Großes leisten könnte: „Das ist nicht eine Inszenierung, wie hier dümmlicherweise gesagt worden ist“, rief er in den Saal. Es sei vielmehr eine ganz normale Sitzung des Deutschen Bundestages. Das Theater im Theater als Parlament – da wurde den Zuhörern von den vielen Ebenen ganz schwindlig.

Helmut Kohl hat in seinem Leben schon in zahlreichen Rollen brilliert. Gestern schien er sich allerdings gelegentlich im Stück zu irren. Über weite Strecken deklamierte er Teile seines Erfolgstextes „Als das Gestern heute war“, und wenngleich etwa die Hälfte des Publikums dafür rauschenden Beifall spendete, so bedarf ein derartiger Monolog heutzutage doch dringend einer musikalischen Untermalung. „Wenn der Senator erzählt“ – vielleicht hätte sich Franz- Josef Degenhardt als Gaststar ja gewinnen lassen.

Der „Alte“ blickt auf ein bewegtes, erlebnisreiches Leben zurück. Verständlich, daß ihm da manches ein bißchen durcheinander gerät: „Sie haben doch Helmut Schmidt gestürzt“, rief er den Sozialdemokraten zu. Applaus war ihm gestern aber selbst für kleine Fehlleistungen sicher. In diesem Fall kam er stürmisch von der kleinen Gruppe der Besserverdienenden im Parkett.

Der „Erneuerer“ hatte ein ganzes Ensemble mitgebracht. Fast alle Amtskollegen aus der eigenen Partei warteten gemeinsam mit ihm auf der Bundesratsbank auf sein Stichwort. Seine Rolle interpretierte er dann im Stil der neuen Sachlichkeit. In der Körperhaltung locker und beweglich, präsentierte er Zahlen über Zahlen, stets unterbrochen von heftigem Applaus, der allerdings wiederum seltsamerweise nur von etwa der Hälfte des Publikums gespendet wurde. Mit Angriffen auf den „Alten“, in konziliantem Ton vorgetragen, gelang es ihm sogar, ein bißchen Schwung in das sonst eher handlungsarme Stück zu bringen. Der Angesprochene sah sich zu Taten veranlaßt. Er telefonierte, drehte sich zum Gespräch mit seinem Hintermann um und verließ sogar für kurze Zeit seinen Platz.

Währende des Auftritts von Gerhard Schröder zeigte sich wieder einmal die tiefe Weisheit des alten Sprichworts, daß Loge allein nicht glücklich macht. Je fröhlicher der Mann am Pult wurde und je mehr Lacherfolge er oben bei den Kritikern einheimste, desto grämlicher wurden die Gesichter auf der Regierungsbank.

Einige Höhepunkte hatte übrigens bereits das Vorprogramm geboten. SPD-Fraktionschef Rudolf Scharping trug seinen Part hübsch vor. Für seine Deklamation eines alten Textes, in dem der „Alte“ seinen Rückzug ins Privatleben angekündigt hatte, gab's Szenenapplaus. Der lachte selber herzlich. Ein bißchen unklar blieb, worüber.

CSU-Landesgruppenchef Michael Glos gab den Buffo, gefolgt vom bündnisgrünen Fraktionschef Joschka Fischer. Bei dem ging das Publikum begeistert mit. Während Glos nach Ansicht zahlreicher Kritiker doch eher in die Bütt als auf die Bühne eines Staatstheaters gehört, spielte Fischer souverän mit den Reaktionen des Publikums. „Herr Bundeskanzler, Sie sind heute aber hektisch mit Ihren Zwischenrufen. So kenne ich Sie gar nicht“, sagte er, dem „Alten“ zugewandt. Dessen sichtbare Verärgerung stand ursprünglich nicht im Drehbuch. Der Regisseur hatte ein souveränes Lächeln vorgesehen. Aber gerade diese spontanen Änderungen machen den besonderen Reiz des „Duells“ aus.

Allerdings hat das Stück auch erhebliche Längen. Die Handlung ist minimalistisch, die Dialoge sind selten. Sie gleichen sich auf bedrückende Weise und spiegeln so den immerwährenden Kampf ums Dasein im Wandel der Zeiten wider: „Ihre Redezeit ist um.“ – „Ich komme zum Schluß.“ Die Regie sollte für die nächste Inszenierung doch die Einführung einer Pause erwägen, zumal ohnehin wenig begabte Schauspieler wie der FDP- Vorsitzende Wolfgang Gerhardt nur weiter entmutigt werden, wenn sich unmittelbar nach Beginn seines Monologs die Reihen leeren und das Publikum ins Foyer entschwindet.

Das war auch ein Problem, mit dem sich Wolfgang Schäuble konfrontiert sah. Er wäre gern der erste Kritiker des Schauspiels gewesen, aber auch zu Beginn seiner Rede verließen die Zuschauer den Saal, um das Stück untereinander zu diskutieren. Das endgültige Urteil steht noch aus, aber beiden Hauptdarstellern wurde bereits der schönste Lohn zuteil, den sie sich in ihrem Beruf erhoffen können: stehende Ovationen. Ein richtiges Event war es allerdings dennoch nicht – Kuscheltierchen wurden nicht geworfen.