■ Vorschlag: Das russische Staatstheater Samara mit Kurzopern im Hebbel-Theater
Selbst hartgesottene Fans werden es bisweilen einräumen müssen: Oper hat lächerliche Aspekte. All die emotionalen Ausbrüche per Gesang, die dramaturgischen Übertreibungen, die aufgeblasene Bühnenherrlichkeit – das wirkt oft unfreiwillig komisch. Das Staatstheater Samara aus Rußland jedoch, das derzeit mit zwei Kurzopern des frühen 20. Jahrhunderts im Hebbel Theater gastiert, inszeniert das Komische bewußt. Hofdamen tragen das leere Gestänge ihrer Krinolinen zur Schau, das Gefolge bewegt sich geziert wie überdrehtes Ballett, ausgerechnet der Schneider ist mit einer Art Duschvorhang bekleidet.
Tatsächlich ist die Lächerlichkeit menschlichen Treibens das Hauptthema des Operndoppelpacks „Der Zwerg“ von Alexander Zemlinsky und „Arlechino“ von Ferrucio Busoni. „Der Zwerg“ spielt am spanischen Hof und zeigt eine Gesellschaft, die sich in ihrer Eitelkeit selbst überhöht. Das ist, verkünden Musik und Regie, lachhaft, ja sogar häßlich. Dem Zwerg jedoch – vespottet, mißgestaltet, und sich dessen aber nicht bewußt – gehört des Komponisten musikalisches Herz. Wenn er singt, dann hält im allgemeinen Gerausche und Geschiebe des Hofes die Musik inne. Spätromantische Harmonien – leider oft mächtig schief intoniert – symbolisieren die naive Subjektivität des Zwerges, der sich den lächerlichen Normen der erkaltenden Welt nicht beugen will. Doch 1922 scheint romantische Subjektivität veraltet. Ist es da noch nötig zu erwähnen, daß der Zwerg am Ende sterben wird? Während Zemlinsky sich dem Thema Lächerlichkeit mit derart tragischem Ernst widmet, parodiert und persifliert Busoni im „Arlecchino“ die Torheiten sexuellen Begehrens mit närrischer Freude. Die selten gespielte Oper aus dem Jahre 1918 wirkt moderner und ist gleichzeitig, mit kurzen Schnitten und neoklassizistischen Einsprengseln, ein Ritt durch die Konventionen der Musikgeschichte. Jetzt erst blüht auch das leicht verschnarchte Staatsorchester aus Samara auf. Grell präsentiert sich die Welt als glitzerndes Variete. War der schwärmende Zwerg Sinnbild für das ausgehende 19. Jahrhundert, so blickt nun der kaltlächelnde Harlekin nach vorn. Seine Botschaft: Lust ist lächerlich. Das Lächerliche aber – und das zeigen beide Opern – ist unbedingt ernst zu nehmen. Christine Hohmeyer
Bis 6.9., jeweils 20 Uhr, im Hebbel-Theter, Stresemannstr. 29
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