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„Zum Zusammenleben verurteilt“

■ Die Versöhnung zwischen Hutu und Tutsi in Ruanda kommt kaum voran. Je mehr das Geschäftsleben blüht, desto mehr entstehen neue Rivalitäten

Kigali (taz) – „Sie können die Leute nicht zwingen, sich zu versöhnen“, sagt Gerald Gahima, Staatssekretär im ruandischen Justizministerium. „Sie können Liebe und Zusammenleben nicht verordnen. Versöhnung ist möglich und wünschenswert, aber kann nur im natürlichen Lauf der Dinge erreicht werden.“

Über vier Jahre nach dem Völkermord an der Tutsi-Minderheit in Ruanda sind die Beziehungen zwischen Hutu und Tutsi im Land selber nach wie vor gespannt. Von Versöhnung sprechen die Ruander ungern. Für sie ist es eine Privatangelegenheit.

„Je mehr man von der Notwendigkeit der Versöhnung spricht, desto mehr werden die Gegentendenzen wiedererweckt“, meint Frederic Mutagwera, Präsident der Anwaltskammer in Ruandas Hauptstadt Kigali. „Das Risiko ist, daß am Ende das Gegenteil des Erwünschten steht.“ Die Regierung sollte lieber „Gesetze zur Definition der Rechte und Pflichte des einzelnen“ erstellen. Nur so „wird jeder beginnen, den anderen zu respektieren“.

Am problematischsten ist die Lage im Nordwesten Ruandas, wo Krieg zwischen Armee und Hutu- Milizen herrscht. Die Milizionäre sind oft ehemalige Völkermordtäter – doch rekrutieren sie sich aus fast jeder Familie dieser Region. Das macht es schwer für die Regierung, der Bevölkerung dort ihre Ideen nahezubringen – wenn zum Beispiel Vizepräsident Paul Kagame vor Studenten erklärt: „Im Ausland muß man euch als Ruander betrachten, nicht als Hutu oder Tutsi. Ihr habt keine andere Heimat als Ruanda, und ihr seit zum Zusammenleben verurteilt.“

Die Feindseligkeit zwischen Hutu und Tutsi ist auch im Wirtschaftsleben real. Eine Studie im Auftrag der deutschen Entwicklungsbehörde GTZ kritisiert, Tutsi hätten im Akagera-Nationalpark illegale große Viehzuchtbetriebe installiert. Gerald Gahima weist zwar darauf hin, daß die Mehrheit des Grundeigentums in Ruanda Hutu gehört und daß sie auch die Mehrheit der Regierungsmitglieder stellen. Aber ein Hutu-Minister hat in seinem Ministerium nicht unbedingt das letzte Wort, und Hutu-Geschäftsleute klagen über Neid der weniger erfolgreichen Tutsi. Im wohlhabenden Teil des zentralen Viertels Kiyovu in Kigali sind fast nur noch Tutsi zu sehen, und das Geschäftsleben der Elite wird von solchen Tutsi bestimmt, die der Regierung sehr nahestehen.

„Die Leute sind sehr besitzorientiert“, sagt Jean Damascène Ndayambaje, Psychologe an der Universität Butare. „Es werden viele Geschäfte gemacht, und diese Gier kann auf lange Sicht neue Spaltungen in der Bevölkerung hervorrufen. Die Aussicht auf Geschäfte könnte auch die Militärs dazu verleiten, ihre bisherige Besonnenheit aufzugeben. Aber positiv in Ruanda ist, daß die Leute aktiv sind. Niemand will vom anderen ökonomisch abhängen und auf die eine oder andere Person in Politik oder Militär angewiesen sein.“

Der Versöhnung hilft das allerdings nicht voran. „Nehmen Sie zwei Bauern auf einem Hügel“, sagt der Jurist Mutagwera. „Einer hat Frau, acht Kinder und andere Verwandte verloren – der andere hat an den Massakern teilgenommen und lebt nebenan. Es ist nicht leicht, für diese Leute ein Versöhnungsprogramm zu machen, das respektiert werden wird. Der, der seine Familie verloren hat, wird versuchen, es zu akzeptieren, weil die Behörden es befehlen, aber nicht aus Überzeugung. Die Möglichkeit von Versöhnung ergibt sich für ihn nur, wenn der Mittäter bestraft wird.“

So bleibt die juristische Aufarbeitung zentral. Nach wie vor sitzen 120.000 Häftlinge unter dem Vorwurf der Beteiligung am Völkermord in Gefängnissen mit insgesamt nur 30.000 Haftplätzen. Um die Gerichtsverfahren zu beschleunigen, ermutigt die Regierung die Angeklagten zu Geständnissen, die Strafnachlaß mit sich bringen. Bisher haben von den 6.000 inhaftierten Haupttätern 2.000 Geständnisse abgelegt. Doch „bis jetzt bleibt das auf die Gefängnisse und die Anhörungen vor Gericht beschränkt“, sagt Mutagwera. „Man muß es ins Land hinaustragen, damit es Früchte trägt.“ Pierre-Olivier Richard

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