: Die Kandidaten-Moritat
Ein Mann, den's Wahlvolk wählen soll,
lebt ausgesprochen mühevoll.
Geschwind reist er von Ort zu Ort,
drückt Hände, grüßt, ergreift das Wort
und bläht sich auf, er ist erregt,
wenn seine Rede wild bewegt
zum Schlusse kommt, er kennt sich aus,
er holt das Letzte aus sich raus
und leidet, schuftet, ackert, schwitzt,
damit er bald im Landtag sitzt.
Am schwersten hat's, das ist bekannt,
der Kandidat im Bayernland:
Fein glatt rasiert, schlohweiß behaart,
sprach freitags spät der Kandidat
in einem Bierzelt. Als genug
geredet war, griff er zum Krug
und leerte sieben, dann noch zwei.
Ins Bettchen fiel er gegen drei
und sah am Morgen – ei der Daus! –
ein wenig ungesittet aus.
Die Falten dick, die Augen rot,
und zur Verschärfung seiner Not
vernahm er tief im Hinterkopf
ein gar nicht leises „klopf, klopf, klopf“.
Doch zum Erholen blieb kein' Zeit:
das nächste Bierzelt, gar nicht weit,
erwartete ihn Viertelzehn,
und schon um neune sah man ihn,
wie er den Kater aus sich trieb,
indem er streng beim Weißbier blieb.
Als dann um zehn das Zelt war voll,
war er's genauso. Er sprach toll;
das Bayernvolk mit Mann und Maus,
es klatschte auf und gab Applaus
und lud ihn ein zu manchem Bier;
er trank erst elfe, später vier
und trollte sich, vom Biere matt,
ins Bierzelt seiner Nachbarstadt.
Hier fiel das Reden etwas schwer:
„Sehr schön verehrte Dam und Herr ...!“
er schloß die Rede mit 'nem „Hicks“,
vollführte einen Klapperknicks,
genoß das Bier und trank es aus
und durfte keinesfalls nach Haus,
denn ihn empfing, zwei Orte weiter,
um sechs Uhr der Herr Wahlkampfleiter.
Der Kandidat war nicht gewillt,
vorm Riesenzelt, das hier gefüllt,
ganz ohne jedes Zechen
zum Publikum zu sprechen,
drum goß er Wein und Bier und Wein
und Wein und Bier in sich hinein
und kämpfte stolz, mit wildem Schrein,
zuwider andere Partein:
„Ich s-sage euch, wenn ihr d-die wählt,
sin eure Tage b-bald jezählt...!“
Man hat ihn spät nach Mitternacht
sehr schonend ins Hotel gebracht.
Dies war am Freitag, doch sogleich
folgt' samstags schon der nächste Streich.
Um acht Uhr früh beschwor der Held
in einem biergefüllten Zelt
sehr eindrucksvoll und stundenlang
den kommenden Weltuntergang:
„D-Der Schtanort D-Deutschland!“, so wurd' klar,
sei stark bedrängt und in Gefahr
für jenen Fall, daß Grün und Rot
„anie R-Regierung komm'm tut!“ –
von dieser scharfen Rede satt,
ging unser Landtagskandidat
ins nächste Dörfchen, da's nicht weit;
und seine große Übelkeit
bekämpfte er, indem er frank
und frei so manches Weißbier trank,
das für den Fall, daß er ermatte,
er noch im Zelt erstanden hatte.
In jenes Dörfchen, gar adrett,
kam er dann leider viel zu spät.
Das Zelt war leer, doch klein sein Groll:
Der Bierzeltzapfhahn war randvoll!
Und weil sonst niemand hörte ihn,
sprach er zum Hahn – er leerte ihn
bis auf den Grund und sprach dabei
laut von der Größe der Partei.
Doch, ach! zu seinem Ungemach
wußt' er fortan nicht, wo er sprach;
man sah von einem Zelt zum andern
ihn rappelblau durch Bayern wandern,
und sogar dort, wo kein Zelt stand,
nahm er sein Mikrophon zur Hand
und überzeugte Berg und Tal
von der Brisanz der Bayernwahl.
Just zum Wahlsonntag fand man dann
hoch in den Alpen einen Mann:
die Kleider naß, verlaust der Schopf,
zwei große Beulen auf dem Kopf,
die Leber dick, die Nase rot,
so lag er da und war – nicht tot,
doch schrecklich krank und äußerst schwach
sprach er zum Finder: „G-guten Tach,
ich g-glaub, das w-war ein Räuber.“
Der so sprach, war Herr Stoiber.
Erst späterhin hat er vernommen,
daß er die Bayernwahl gewonnen.
Thomas Gsella
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen