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Dokumentation„Mein Leben ist verpfuscht, ich hab' zu viele Dummheiten gemacht“

■ Auszüge aus einem Interview, das Daniel Cohn-Bendit für sein Buch „Wir haben sie so geliebt, die Revolution“ (1987) mit Hans-Joachim Klein führte

Daniel Cohn-Bendit: Wie lebst du?

Hans-Joachim Klein: Ich verstecke mich im hintersten Winkel einer kleinen Stadt eines kleinen Landes. Ich widme mich meinem Kind und lebe nach seinem Rhythmus. Es wird um sieben Uhr wach, ich mache Frühstück, und wir frühstücken zusammen. Dann gehen wir spazieren, in den Park. Dann gehen wir wieder heim, ich mache den Haushalt, koche für meine Frau und meinen Sohn. Anschließend spielen wir ein bißchen und geh'n wieder spazieren. Ich höre viel klassische Musik. Wenn mein Sohn alleine spielen will, nehme ich mir ein Buch.

Kennen dich die Leute hier in der Stadt?

Sicher, physisch kennen sie mich. Sie haben uns gesehen, mich und das Kind. Den Kleinen kennen sie, aber sie haben keine Ahnung, wer ich wirklich bin. Und sie können es auch gar nicht wissen.

Was machst du, wenn er in die Schule kommt?

Ich weiß nicht... Mein Leben ist verpfuscht, ich habe zu viele Dummheiten gemacht. Jetzt habe ich nur noch den einen Wunsch, mit meiner Frau und dem Kind in Ruhe zu leben und sie glücklich zu machen.

Ist das nicht ein bißchen naiv? Du sagst: Ich habe Dummheiten gemacht, böse Sachen, verzeiht mir.

Nein. Ich habe noch nie irgend jemanden um irgend etwas gebeten. Ich habe Selbstkritik geübt, ich habe ein Buch geschrieben. Auf mich wartet der Knast, aber ich ertrage kein Gefängnis, das macht mich verrückt.

Hast du das Gefühl, einen Friedensvertrag mit der Gesellschaft geschlossen zu haben?

Oh ja, schon lange...

Wie bist du zu Carlos gekommen?

Ich habe mit den Revolutionären Zellen kleine Aktionen gemacht, wir sind viel herumgereist, hauptsächlich in der Bundesrepublik. Eines Tages schlägt Boese, der Chef der Revolutionären Zellen, mir vor, mit nach Paris zu fahren. Dort hat er mich zu einem mitgenommen, den ich erst für einen italienischen Mafioso hielt: Ilich Ramirez Sánchez alias Johnny alias Salem – für die Öffentlichkeit Carlos. Sie sprachen englisch miteinander, damals verstand ich noch kein Sterbenswörtchen. Später zeigte er mir seine Waffen, Handgranaten, Sprengkörper usw. Das ganze Material, das später auftauchte, als er sich die Schießerei mit dem französischen Geheimdienst, der DST, lieferte, wo zwei Agenten des Geheimdienstes ausgelöscht wurden. Und wo sein bester Freund von ihm selbst hingerichtet wurde [am 27.Juni 1975 in Paris; d. Red.]. Er hieß Michel Moukharbel, und ich habe ihn sehr gemocht.

Offiziell ist er als Verräter hingerichtet worden, der für die DST arbeitete. Aber ein Jahr später hat mir Carlos wörtlich gesagt: „Ich habe Michel Moukharbel nicht hingerichtet, weil er ein Verräter war, sondern ein Feigling. Ich weiß nicht, was die DST oder die Jungs aus Beirut mit ihm angestellt haben, nachdem sie ihn aus dem Knast entlassen und nach Paris haben gehen lassen. Aber sie haben seine Ankunft der DST gemeldet. Vielleicht haben sie ihn gefoltert oder unter Drogen gesetzt. Auf jeden Fall hat er alles erzählt, das ist klar. Und als ich anfing, die drei Agenten der DST unter Feuer zu nehmen, ließ er sich in einen Winkel gleiten und hat die Hände über den Kopf gehalten, statt mir zu helfen. Deshalb habe ich ihm zwei Kugeln ins Genick geschossen.“ Was konnte ich zu solchen Greueln sagen?

Aber wie erklärst du dir die Faszination, die so ein Mann auf dich ausgeübt hat?

In erster Linie, das muß ich wiederholen, hatte ich nicht die leiseste Ahnung von all den Greueltaten, die ich dir eben erzählt habe. Was mich fasziniert hat? Seine Gewandheit, sein Sinn für Luxus, seine Waffen, die Tatsache, daß er sechs Sprachen spricht, die Wahnsinnsmenge von Zeitungen, die er noch in anderen Sprachen las, seine Kenntnis der politischen Begebenheiten auf der ganzen Welt, sein Haus, das vollgestopft war mit Sprengkörpern. Für mich war er ein terroristischer Gentleman. Außerdem spielte er nicht den Häuptling, er behandelte mich von gleich zu gleich. Ich glaube, ich fand, daß er das Leben eines „Helden“ führte. Und jetzt siehst du, was er aus meinem Leben gemacht hat.

Was war genau das Ziel der Operation gegen die Ölminister in Wien, dieser Operation, die dich zwingt zu leben, wie du heute lebst?

Wir verfolgten zwei Ziele. Ein militärisches, das darin bestand, alle Minister zu entführen und als Geisel zu nehmen. Und ein zweites, viel wichtigeres, ein politisches Ziel: Wir wollten mit allen Ministern an Bord in ihre einzelnen Herkunftsländer fliegen; auf jeder Etappe wären sie erst dann freigelassen worden, wenn ihre Regierung eingewilligt hätte, eine propalästinensische Erklärung zu verbreiten.

Wie denkst du heute darüber?

Daß das alles absurd und verrückt war. Und daß ich noch dazu mein Leben versaut habe.

Wie siehst du deine Zukunft?

Die einzige Hoffnung, die ich habe, ist, daß sie mich mit meiner Frau und dem Kind in Frieden lassen. Im Moment ist das meine einzige Hoffnung.

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