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Mißhandelt und ausgesetzt

■ Anklage erhoben: Fünf prügelnde Freunde und Helfer müssen sich wegen Körperverletzung im Amt vor Gericht verantworten Von Kai von Appen

Die Hamburger Staatsanwaltschaft wird gegen fünf Polizisten, die im Bereich des Kirchenallee-Reviers in der Drogenfahndung eingesetzt waren, Anklage wegen Körperverletzung im Amt erheben. Ihnen wird vorgeworfen, vornehmlich Afrikaner geschlagen, mißhandelt und ausgesetzt zu haben. Das erklärte gestern Oberstaatsanwalt Martin Köhnke gegenüber der taz. In vier Verfahren sollen die schweren Vorwürfe aufgeklärt werden.

Gegen zwei weitere Polizisten ist außerdem Strafbefehl – Verurteilung ohne Verhandlung – wegen des Vorwurfs der Freiheitsberaubung, Nötigung und Strafvereitelung im Amt beantragt worden. Die Innenbehörde teilte mit, daß alle Beamten, gegen die Anklage erhoben wurde, jetzt in anderen Revieren Dienst tun, und zudem ein Disziplinarverfahren auf sie zukommt.

Die Palette der Vorwürfe ist breit. Ein Beamter soll bei einer Leibesvisitation einem Schwarzafrikaner Tränengas auf die nackte Haut gesprüht haben. Anschließend soll er mit Gas die Zelle eingenebelt haben, so Köhnke, „bis die Dose leer war“. Ferner hat der gleiche Polizist einem Deutschen im Revier mehrere Faustschläge versetzt. In einem weiteren Anklagepunkt wird ihm vorgeworfen, „Verwahrpersonen“ – Kurzinhaftierte – im sogenannten „Verbringungsgewahrsam“ in den Boberger Dünen oder Vierlanden ausgesetzt zu haben. In einer anderen Anklage wird ein Polizist beschuldigt, Afrikaner mit Desinfektionsspray besprüht zu haben. Köhnke: „Auf die nackte Haut vom Hals bis in die Genitalien.“

Zwei staatliche Freunde und Helfer sind in einem anderen Anklagekomplex angeklagt. Der eine soll einem Schwarzen ins Gesicht geschlagen haben – als sogenanntes „Reaktionstraining“, wie es im Kampfsport geübt wird. Der andere Polizist schaute zu und wird deshalb wegen Beihilfe zur Verantwortung gezogen. Zu einem anderen Zeitpunkt soll der zuschauende Polizisten einem Deutschen mehrere Faustschläge in die Nieren versetzt haben.

In dem vorerst fünften und letzten Verfahren gegen polizeiliche Straftäter kennt die Staatsanwaltschaft im Gegensatz zu den anderen Fällen das Opfer und hat damit einen Tatzeugen. Der betroffene Nigerianer war in der Wache mehrfach geschlagen worden. Über seinen Anwalt hatte er sofort Strafantrag gestellt. „Der beschuldigte Beamte hatte es verstanden, die Revierunterlagen so zu manipulieren, daß das Verfahren zunächst eingestellt werden mußte“, so Köhnke. Denn durch das Vernichten von Papieren „war der Vorgang an der Wache überhaupt nicht erfaßt“. Im Zuge der neuaufgenommen Ermittlungen konnte nun doch der Täter identifiziert werden.

Köhnke legt Wert auf die Feststellung, daß die Beschuldigten nicht alle dem Hauptbahnhof-Revier angehören, sondern nur in dem Bereich tätig waren – wie die BeamtInnen der Spezialtrupps „Einsatzzüge Mitte“.

Nahezu neun Monate hatte die Ermittlungsgruppe aus Staatsanwaltschaft und Polizei unter Leitung Martin Köhnkes gearbeitet. Über 220 ZeugInnen wurden zu den Vorwürfen gegen das Kirchenallee-Revier vernommen sowie eine Fülle an Beweismitteln gesammelt.

Von den daraus abgeleiteten 26 konkreten Ermittlungsverfahren ist somit die Hälfte abgeschlossen. Fünf weitere mußten mangels Beweisen eingestellt werden. Allerdings: In einem noch nicht abgeschlossen Sammelverfahren könnte es bald auf einem Schlag 63 PolizistInnen an den Kragen gehen.

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