: Widersprüchliche Lüsternheiten
■ Einwandfrei serviert: „Der Schwan in Stücken“ in der Schauspielhauskantine
Das deutsche Mannsbild – was ist ihm in letzter Zeit im Schauspielhaus nicht alles widerfahren! Nach Murx den Europäer und Stunde Null zerlegen sich nun Matthias Fuchs als Kommissar und Michael Altmann als Koch nach allen Regeln komödiantischer Lust in der Kantine des Theaters. Und das anhand des Kammerspiels Der Schwan in Stücken, geschrieben von dem jungen Schweizer Tim Krohn und inszeniert von Gabriele Jacobi. Der Gitarrist Erk Braren sitzt, die Kapuze tief in der Stirn, im Rücken des Publikums und spickt das Spiel ums Kochen und Töten der beiden Kerle mit sporadisch eingeworfener Tafelmusik, mal heftig-harten und mal zart-verspielten Riffs auf seinem elektrischen Instrument.
Kommissar und Koch, bereits äußerlich durch Trenchcoat und Hut sowie Kochuniform und -mütze karikiert, umkreisen einander. Sie untersuchen sich, verfolgen sich mit einem Scheinwerfer, variieren Verhör- und Standardsituationen wie einen Kochkurs oder Seufzer über den Berufsalltag. Und es scheint, sie schleichen seit Ewigkeiten umeinander: der Kommissar auf der Suche nach dem Mörder, der Koch auf der Suche – nach was? Nach der „Verdaubarkeit der Welt“? Andris, der Koch, hält sich an Rezepte, Plinius und Nietzsche und die vage Ahnung, daß die ganze Welt doch nur eine Sauce ist – aber was ist der Fond?
Den geradezu unbändig in Assoziationen dahinspringenden Text von Krohn hat Jacobi als ein mitunter blutiges, mitunter slapstickartiges Feuerwerk der Absurditäten inszeniert. Taschenspielertricks, wie wenn sich Altmann den kleinen Finger abschneidet und das Theaterblut reichlich fließt, sind kombiniert mit der Freude an naheliegenden Obszönitäten: Kaum ist der Finger ab, sichert der Kommissar, eine quackige Bratwurst umgreifend, die Spuren. So genüßlich, wie der Koch irgendwann die Zubereitung eines jungen Zickleins schildert, so lüstern schmiegt sich später der Kommissar an den in der Bühnenmitte hängenden Schafstorso und legt die Hand zärtlich in den Bauchschnitt. „Ich bekenne mich zum Vegetarismus“, entfährt es einer Zuschauerin, die schnellen Schrittes entflieht und wohl nicht (oder doch?) zum Stück gehört.
Mörder/Koch und Kommissar teilen ihre widersprüchlichen Obsessionen, sie machen sich gegenseitig den Watschenkasper, sind lächerliche Gestalten, demontierte Mannsbilder, also nicht gerade die Wucht in Tüten und naturgemäß selten appetitlich. Aber Altmann und Fuchs wissen sie einwandfrei zu servieren. Julia Kossmann
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