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Vituoses Seufzen der Androgynität

■ Krude Interpretationen, erhellende Kombinationen: „Tim Fischer singt“ im Schmidt Theater

Tim Fischer seufzt. Viel. Und vir-tuos. Als Geräusch, als gesprochener Text, als gesungener Text und auch auf alle anderen erdenklichen Weisen. Er berichtet vor allem von der Liebe, und da ist das Seufzen eben die angemessenste Ausdrucksform. Seufzen. Nichts anderes läßt sich so gut und immer wieder neu mit unterschiedlichen Gefühlen aufladen. Und Tim Fischer macht das verdammt clever. Er beherrscht dieses charmante Spiel mit mutigem Pathos und dem hinterhergeschickten, scheinbar prüfend abwartenden Blick: „War's o.k. so?“ Kleine Jungs machen das gerne. Und Tim Fischer.

Tim Fischer singt heißt der Abend eigentlich, der vorgestern im Schmidt Theater Premiere hatte. Klingt nicht eben überraschend. Eher etwas unspezifisch. Und so ist es auch. Der Name ist Programm, und da hat das Programm dann eben keinen Namen, denn es geht um Tim und darum, daß wir das „Mädchen mit den Schwefelhölzern“ eigentlich schon kennen. Aber noch nie das Leuchten in ihren Augen angesichts des wärmenden Holzes so gesehen haben wie nun. Große Emotionen, doch vor allem Überraschungen birgt das Programm, sowohl musikalisch als auch inhaltlich.

Seine größte Qualität ist, daß es nicht das Berechenbare eines Chanson-Abends hat. Zu krude ist dafür manche Interpretation, unglaublich rasant sind vertraute Lieder, überraschend und erhellend viele Kombinationen – wie die von Brechts „Lied von der belebenden Wirkung des Geldes“ mit Georg Kreislers Ode an eben jenes. Thomas Dörschel am Flügel unterbricht kurze Besinnung flink mit dem Zeppelin-Rap, später folgt auf Gerhard Rühms Familienkarikatur „Die Mutter hat das Fleisch“ Cora Frosts etwas schwer verdaulicherer Familieneinblick: „Onkelchen, ach Onkelchen, du kommst die Treppe rauf, und legst Dich einfach auf mich drauf.“ Das Programm bricht permanent Erwartungen, auch die Erwartung Tim Fischer.

Kurz hat man dabei einen komischen Verdacht. Wurde der Typ nicht vielleicht von einem amerikanischen Designer für seine Unisex-Parfüm-Kampagne erfunden? In der zweiten Hälfte des Abends trägt Tim Fischer zur schwarzen Jeans ein Spaghetti-Träger-Top. Er verkörpert auf faszinierende Weise 90er-Jahre-Androgynität – und die scheint so selbstverständlich, daß es keiner weiteren Fragen nach Geschlechtlichkeit bedarf. Interessanter wird stattdessen die Intensität des Diven-Gebahrens. Kopiert da einer etwas, kommentiert er es, oder ist das einfach so? Eitel ist es sicher – aber weil es immer auch verletzlich und charmant bleibt, sind wir ja gekommen.

Matthias von Hartz

bis 26. September, 20 Uhr

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