: Die Macht einer Sonnenbrille
...oder Wenn Augentropfen dein Leben ruinieren: Doris Dörries Episodenfilm „Bin ich schön?“ erzählt von unwesentlichen Dingen und ihrer wesentlichen Bedeutung. Ein Reigen deutscher Starschauspieler brilliert mehr oder weniger in kurzen Auftritten ■ Von Brigitte Werneburg
Könnte Doris Dörries neuer Film „Bin ich schön?“ nicht etwas weniger sentimental sein? Würde er nicht mehr Groteske vertragen, wie jenen aufgeschäumten Plot, in dem Herbert (Gottfried John) dem auf so tragikomische Weise mißlungenen Ehebruch hinterherschrubbt? Ja, er könnte, ja, er würde. Doch recht besehen ist das nur Mäkelei. Denn Dörries Film stimmt schon so, wie er ist.
Falls man seine Rührseligkeit als das Brigitte-Problem von „Bin ich schön?“ sehen will, sollte man seine New Yorker-Qualitäten nicht vergessen. Denn hier wie dort wurden Doris Dörries Kurzgeschichten veröffentlicht, die leichthändig den Irrwitz aus den seichten Gewässern des trivialen Alltags fischen und mit genau bemessenen Dialogen glänzen. Sie können ohne Probleme in der deutschen Frauenzeitschrift wie im New Yorker Stadtmagazin mit dem Anflug von Intellektualität erscheinen. Dörries literarische Erzählungen machen nämlich den Unterschied von München und Manhattan nicht gewichtiger, als es die Sache eines Direktflugs von knapp sieben Stunden ist. Ihr Format ist urban und mithin international.
Nach dem Muster von Robert Altmans „Short Cuts“ hat nun Doris Dörrie ihren 1994 bei Diogenes verlegten Erzählband „Bin ich schön?“ in einen filmischen Episodenreigen umgeschnitten. Anders als bei Altman haben ihre Figuren keine solch exotischen Jobs wie Schwimmbeckenreiniger, Telefonsexanbieterin oder Hubschrauberpilot, sondern sie sind die üblichen Handelsvertreter, Hausfrauen und Verkäuferinnen. Wer Altmans fiese Witze mochte, den Mann, der auf eine nackt im Wasser treibende Frau pißt, damit er entdecken kann, daß sie leider ein Problem, nämlich eine Leiche, ist, oder die Frau, die den Pädophilen am anderen Ende der Telefonleitung mit Hilfe einschlägig verbalisierter Phantasien zum Höhepunkt treibt, während sie ihr Baby wickelt, der mag Dörries Szenarios zu nett finden. Anders als Altman, der die Sympathie für absolut nichtig erklärte, mit der Raymond Carver die Protagonisten seiner Kurzgeschichten – die „Short Cuts“ zugrunde liegen – beobachtete, bleibt Dörrie ihren Helden und Heldinnen gewogen.
Wie etwa Rita (Iris Berben), die sich für ihre erfolgreiche Hungerkur mit einem Kaschmir-spricht- für-sich-Pullover zu belohnen gedenkt. Da Kreditkarten nicht akzeptiert werden, hastet sie noch kurz vor Ladenschluß nach Hause, um ihr Scheckbuch zu holen. Unglücklicherweise trifft sie dort auf ihren diät- und also hemmungslos dicken Ehemann Fred (Oliver Nägele), dem der Sinn nach einem Schäferstündchen steht. Rita fürchtet Freds Frustration, falls sie ihn abweist. In kürzester Zeit muß sie daher den Orgasmus ihres Mannes erreichen, will sie den Pullover noch bekommen. Doch dies ist nicht so einfach. Immer wieder droht der Abbruch des Unternehmens. Unter den Schweißbächen des keuchenden Fred rückt der Orgasmus und mit ihm der Pullover in weite Ferne. Dann allerdings ändert sich die Situation. Es ist nicht mehr der Kampf gegen die Zeit oder gegen den heutigen Kalorienverbrauch, den Rita unter ihrem Mann liegend zusammenaddiert. Fast unmerklich kommt die Wende, doch plötzlich ist sie da, die beiden geraten in Schwung, sie werden für ihre gegenseitige Ermutigung, nicht aufzugeben, belohnt, und aus Krampf und Kampf scheint eine altvertraute körperliche Liebe auf. Es ist eine dramatische, ja, es ist auch eine anrührende Szene, eine der besten des Films. Und im Muff ihrer Kleinbürgerwohnung spielen eine verhärmte Iris Berben und ein mutiger Oliver Nägele die anderen Starschauspieler, mit denen Dörrie ihren Film besetzte, an die Wand.
Denn nicht alle Schauspieler kommen mit dem Schnellstart, den die kurzen Auftritte verlangen, klar. Und Franka Potente schon gar nicht. Dabei hat sie eine der durchgängigen Rollen, eine, die sich vom Anfang bis zum Ende durch die Abfolge der Episoden hindurchzieht. Aber die geheimnisvolle Linda, die mit ihrer Tasche auch ihre Identität loswerden will, die sich vermeintlich taubstumm und dann wieder dreiste Lügen erzählend in der Gegend von Sevilla herumtreibt, ist ein undankbarer Part. Ob sie Werners (Gustav-Peter Wöhler) masochistische Sexwünsche erfüllt, ob sie den liebenswert blauäugigen Familienvater Bodo verführt, dem ein Uwe Ochsenknecht, der auch ganz anders kann, mit wenigen präzisen Gesten Kontur gibt, oder ob sie schrecklicherweise zum Schluß, bei der Madonnenprozession, während Sevillas Semana Santa gar von Schmerz und Hoffnung zu singen beginnt – es wird nie deutlich, was Lindas Versteckspiel eigentlich motiviert. Und so wirkt es ebenso aufgesetzt wie die Geheimnistuerei schal.
Am Osborne-Reklameschild, wo sie ihren Beutel in die Pampa warf, gabelt ein romantischer junger Mann, der zu diesem Zeitpunkt noch in die Münchener Verkäuferin des Kaschmirpullovers verliebt ist, Juan (Dietmar Schönherr) auf. Juan ist mit der Urne seiner Frau im Arm auf dem Weg nach Deutschland. Von dort stammte sie, und dort will er sie nun bei strömendem Regen unter einem Baum begraben, hat sie doch vom Grün der Wälder und vom Regen immer geschwärmt. Juan ist eine Figur, die beim zweiten Start der Dreharbeiten von „Bin ich schön?“ neu dazukam. Denn kurz nach dem Drehbeginn 1996 war Dörries Kameramann und Ehemann Helge Weindler in Spanien an einer Hirnhautentzündung gestorben. Die abgebrochenen Dreharbeiten nahm sie erst ein Jahr später wieder auf. Zu sentimentalen Gedanken über die Flüchtigkeit des Glücks, die Kürze des Lebens und das Unglück des Todes hatte Dörrie in diesem Film also besonderen Grund.
Trotzdem hängen Freude und Leid ihrer Geschichten meist von unwesentlicheren Dingen ab, von einem gefundenen Blumenstrauß oder dem unwiderstehlichen Zauber einer teuren Sonnenbrille. Sie wird, so weiß die Tochter von Lucy (Suzanne von Borsody), sie in jene attraktive Jugendliche verwandeln, als die sie sich eigentlich sieht. Doch ihre allseits aufgeklärte Mutter kauft ihr die Brille nicht. Sie sei ihr ja doch nur von der Werbung aufoktroyiert. Unbeeindruckt läßt sich ihre minderjährige Tochter während der Prozession in einer Hausecke von einem Unbekannten entjungfern, um mit seiner Sonnenbrille, die das begehrte Modell ist, als Trophäe von dannen zu ziehen. So wesentlich ist eben eine Sonnenbrille, und wir wissen das alle.
Mit diesem Wissen arbeitet Dörrie, und wenn das Mädchen in der titelgebenden Geschichte des Erzählbandes „Bin ich schön?“ eben ein wenig mehr tut, als erwartbar wäre, um die Sonnenbrille zu bekommen, so ist das Dörries Methode, eine kleine Skizze der Pubertät zu entwerfen. Auf mehr Schock oder mehr Aha-Erlebnis will sie auch nicht hinaus: wie nun einmal die falschen Augentropfen dein Leben ruinieren. Das lohnt sich schon zu sehen, die alternde Hippieschönheit Gisela Schneeberger, die dieses Alltagsdrama auf dem Flughafenparkplatz rekapituliert.
„Bin ich schön?“ Buch und Regie: Doris Dörrie. Mit Senta Berger, Gisela Schneeberger, Joachim Król, Gottfried John, Nina Petri, Otto Sander, Iris Berben u.v.a. D 1998, 117 Min.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen