„Was für eine Verschwendung von Talent“

■ Courtney Love über den Abschied vom Grunge und den Unsinn des Underground, über magische Orte wie Malibu und die eigentümliche Faszination von Fleetwood-Mac-Metaphorik

taz: Markiert „Celebrity Skin“ den Abschied vom Grunge?

Courtney Love: Definitiv! Da gibt es diesen Song „Playing It Safe“. Den habe ich mit der Intention geschrieben, daß es der letzte Grunge-Song aller Zeiten sein soll. Allein schon deshalb, weil das längst überfällig ist. Also habe ich diese Proklamation gemacht: „Dies wird der letzte seiner Art, es wird keine weiteren geben – die Sache ist endgültig vergessen und vorbei.“ Hey, ich bin schließlich erwachsen – und ich bin ein Rock- star. Von daher habe ich das Recht, so etwas zu verkünden.

Also eine Distanzierung vom Sound der frühen 90er?

Ja, denn das, was ich durch Punk oder Grunge gelernt habe, hat längst nicht gereicht, um wie Frank Sinatra zu singen oder „Dear Prudence“ [Beatles, d.Red.] schreiben zu können. Ich hatte ja keine Ahnung, wie man einen richtigen Song aufbaut. Und den brauchst du nun mal, um die Welt zu erobern: Du mußt handwerklich perfekt sein, um Musik zu schreiben, die im Ohr der Menschen hängenbleibt.

Richtige Popsongs handeln also Ihrer Meinung nach nicht von Verweigerung und Rebellion, sondern von Ponys und idyllischen Orten wie Malibu...

Für mich war Malibu schon immer eine Art Xanadu oder Nirvana – ein Ort, an dem ich völlige Ruhe finde. Es ist die Heimat der oberen Zehntausend, eine Enklave des Geldes, doch das ist nur die eine Seite... Außerdem kam mein erster Freund aus Malibu. Ich war zum ersten Mal richtig verliebt – und was ist passiert? Der Idiot hat sich mit einer anderen erwischen lassen. Das hat er dann auch noch zum Anlaß genommen, sich von mir zu trennen. Noch am selben Abend kletterte er mit einer Flasche Tequila auf die Statue des Marlboro Man (am Sunset Boulevard) und grölte: „Ich bin frei!“ Weißt du, was ich getan habe, um mich an ihm zu rächen? Ich bin bei seiner Mutter eingezogen und habe zwei Jahre mit ihr gelebt. Von diesem Schock hat er sich bis heute nicht erholt.

Ein weiterer Einfluß auf „Celebrity Skin“ ist die romantische Metaphorik einer Stevie Nicks. Hole als Fleetwood Mac der 90er?

Ja, das Album ist definitiv sehr Fleetwood-Mac-lastig. Aber es gibt doch einen gewaltigen Unterschied: Bei den meisten Songs besteht der Subkontext darin, daß jemand stirbt. Nehmen Sie nur „Heaven Tonight“. Da geht es um ein Mädchen, das auf einer Küstenlandstraße fährt. Sie ist 16 Jahre alt und im Begriff, ihre Jungfräulichkeit zu verlieren bzw. in einem Autounfall umzukommen. Es handelt sich insofern um eine Art Fifties Song. Aber nimm das jetzt besser nicht zu ernst – ich bin schließlich ziemlich verrückt. Ignoriere einfach, was ich dir erzähle.

Stimmt es, daß du mit Stevie Nicks befreundet bist?

Ich liebe Stevie. Sie war eine der ersten Künstlerinnen, die über andere Frauen geschrieben haben – z.B. „Sara“ oder „Gold Dust Woman“. Ihre Texte übten schon immer eine eigentümliche Faszination auf mich aus – vor allem als Teenager. Sie hat einfach wunderbare Songs geschrieben.

Du hast Stevie ja für das US- Magazin „Spin“ interviewt...

Ich besuche sie öfters zu Hause. Sie ist wie eine Mutter zu mir... Eigentlich eher wie eine reiche, verrückte Tante – mit Seidenblumen und wirklich gutem Wein. Du sitzt in einem abgedunkelten Raum voller Kerzen und Räucherstäbchen und schaust dir ihre alten Fotos an, die einfach großartig sind. Dazu erzählt sie dir Geschichten, die du niemals in aller Öffentlichkeit wiedergeben dürftest – sie würden ganze Imperien zum Einsturz bringen. Sie hat jede Menge Geheimnisse, das kannst du mir glauben...

Woher kommt eigentlich der plötzliche Ehrgeiz – eine Reaktion auf die Veränderungen nach dem Tod Ihres Mannes?

Das ist richtig. Ich habe fast zwei Jahre dafür gebraucht, um meine privaten Probleme in den Griff zu bekommen. Und jetzt will ich eben meine künstlerische Seite zum Ausdruck bringen. Dabei ist es egal, wie lange man an einem Projekt arbeitet, solange die Qualität stimmt. Dabei mache ich keinen Unterschied zwischen einem Architekten, einem Regisseur oder einem Popstar. Nimm nur Miloš Forman – der braucht bis zu acht Jahre, um einen Film zu drehen...

Aber ist das nicht mit ein Grund, warum die Popszene heute so fürchterlich langweilig ist – weil jeder Kunst statt Musik machen will?

Sicher, die Musikindustrie ist in einem beklagenswerten Zustand. Deshalb ist es ja so wichtig, daß Rockstars eine genaue Vision davon haben, was sie in dieser Welt erreichen wollen. Und dazu gehört eben auch, nicht auf Teufel komm raus im Untergrund bleiben zu wollen. Das ist nämlich so eine fixe Idee, die sich meine Generation in den Kopf gesetzt hat – was für eine Verschwendung von Talent! Ich für meinen Teil versuche schon seit Jahren, die Leute dahingehend zu motivieren, daß sie ihre Chancen nutzen, Enthusiasmus zeigen und auch willens sind, ihr Schicksal selbst zu bestimmen. Das bringt doch viel mehr, als immer nur zynisch zu sein und das auch noch cool zu finden. Im übrigen weiß ich, wovon ich spreche: Schließlich habe ich selbst damit angefangen – ich bin die Königin des Zynismus... Interview: Marcel Anders