: Der ozeanischen Lebenswelt verfallen
■ Geschichten vom Reisen in der Südsee. Eine Liebeserklärung von Christof Wächter
Viererlei macht das Paradies auf Erden: Palmen, Strand, Wasser und Himmel. Und vierfarbig ist das ganze Ensemble: grün, weiß, tiefblau und azurn. Schlicht in der Komposition, eindeutig als Markenzeichen: die blaue Lagune. Zu kaufen in jedem Reisebüro. Vom Umtausch ausgeschlossen...
Hans-Christof Wächters Berichte aus der südpazifischen Inselwelt widersprechen mal sanft, mal vehement, lakonisch oder beredt solch simpler Wunschbildkonstruktion. Seine Reisegeschichten, als Features und Aufsätze in den vergangenen fünfzehn Jahren an unterschiedlichem Ort veröffentlich, erscheinen nun in einer Auswahl als Buch: „Pazifische Passagen. Reisen in der Südsee“. Den neun Kapiteln stellt der Autor eine knappe Gebrauchsanweisung voran, die mit der „Warnung an den Leser“ schließt, „den Subtext nicht zu übersehen: Hier schreibt einer, der dieser ozeanischen Lebenswelt verfallen ist!“ Dieses Geständnis ist auch gleich Schlüssel zum Lesevergnügen an Wächters Texten, in denen sinnliche Erfahrung, rationale Analyse und emphatisches Bekenntnis verwoben sind. Die Vielgestalt des riesigen Inselreichs und die Verschiedenartigkeit seiner Bewohner werden nicht einfach referierend abgehandelt. Der Autor hat monatelang an den Originalschauplätzen, mitten unter den handelnden Personen seiner pazifischen Szenen gelebt.
Das Szenarium ist weitgefächert: imposante Naturschauspiele, vulkanische Eruptionen auf freiem Ozean, ein schier unwiderstehlicher Hurricane über dem gebeutelten Fijidorf, wechseln mit Genreszenen des Insellebens, Ritualen und Festen, mit Intermezzi der ausgefallensten Art, wie der Aufwartung einer Schule junger Wale, die singend und tanzend den klapprigen Frachter auf seiner Fahrt umkreisen und damit den riesigen Kahn in sanfte Schwingungen versetzen.
Gerade in den Passagen, wo der Autor mehr beiläufig als absichtvoll Reflexionen über Vertrautes und Fremdes, über Zivilisation und Kultur auslöst, steckt ein eigentümlicher Reiz. So wird auf der Pfingstinsel (Pentecost) alljährlich das Fest des Naghol begangen, ein archaisches Ritual, bei dem die Mutigsten der Dorfbewohner von über dreißig Meter hohen Holzgerüsten, nur durch zusammengeknüpfte Lianen an den Fußgelenken gesichert, den freien Fall in die Tiefe wagen. Eine Urform des Bungie-Jumping also. Und doch: weit weg von unserer Fun-Gesellschaft, von Aufgeregtheit und Aggressivität – pazifisch eben. Hans-Jörg Grell
Hans-Christof Wächter: „Pazifische Passagen. Reisen in der Südsee“. Picus Verlag, Wien 1998. 132 Seiten, 26 DM
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