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Kampf um Stimmen aus der Mitte

Mit der Zusage, Steuern zu senken, wollen die Konservativen die Wahlen in Schweden gewinnen. Ihre Chancen, eine linke Koalition zu verhindern, sind gering  ■ Aus Stockholm Reinhard Wolff

Die SchwedInnen haben morgen die Wahl. Zwischen einer abgemagerten Version des sozialdemokratischen „Wohlfahrtsstaats“ und einem Regierungswechsel unter dem Vorzeichen gesenkter Steuern. Personifiziert werden die Alternativen durch Ministerpräsident Göran Persson und den Oppositionsführer der Konservativen, Carl Bildt. Beide wollen zurück in die Zeit vor 1992, als die schwedische Wirtschaft plötzlich einbrach. Das, was die Sozialdemokraten seither vom Sozialstaat amputierten, soll angesichts vollerer Staatskassen in Form fast kostenloser Kindergartenplätze, mehr Geld für Schulen und Kranken- und Altenpflege teilweise wieder angestückelt werden.

Allein mit solchen Versprechungen können die Sozialdemokraten hoffen, zumindest einige der irritierten StammwählerInnen zurückzugewinnen. Und nicht auf von Demoskopen vorhergesagte 37 Prozent abzurutschen. Auch die Konservativen wollen dahin zurück, wo sie beim letzten Mal die Regierungsmacht abgeben mußten. Seltsamerweise mit den gleichen Rezepten, in denen viele ÖkonomInnen zumindest eine der Ursachen für den tiefen Wirtschaftseinbruch des Landes zu Beginn der neunziger Jahre sehen: Man will zwar den Steuerdruck senken, kann aber nicht mit entsprechenden Einsparungen im Staatsbudget aufwarten. „Kannst du dir die Konservativen leisten?“ fragen denn auch sozialdemokratische Wahlplakate. Und Ministerpräsident Persson zählt genüßlich die Sünden der damaligen Koalition auf: „Die Staatsverschuldung hatten sie verdoppelt, die Arbeitslosigkeit verdreifacht, das Budgetdefizit vervierfacht.“ Daß Schwedens Krise mit einer internationalen Finanzkrise zusammenfiel wird da gern übersehen.

Trotzdem warnen nicht nur die Sozialdemokraten, sondern auch viele Stimmen aus der Wirtschafts- und Finanzwelt vor einem Machtwechsel unter solchen Vorzeichen. So der US-Finanzanalyst Joe Roseman: „Die bürgerliche Regierung hatte Schweden beinahe in den Konkurs getrieben. Gerade in der jetzigen instabilen Weltwirtschaftslage kann das Land sich nicht noch mal ähnliche Fehler leisten.“ Die Sozialdemokraten hätten mit ihrer Sanierungspolitik seit 1994 „wahre Wunder“ vollbracht.

Carl Bildts Problem ist aber nicht nur, daß selbst die Wirtschaft an seiner Steuergeschenkpolitik zweifelt: Allein können seine Konservativen mit einem zu erwartenden Ergebnis von rund 25 Prozent nicht regieren. Die zwei oder drei notwendigen Partner sind jedoch nur in die Regierung zu locken, wenn dort auch Teile ihrer Politik verwirklicht werden. Das jedoch kostet Geld. Die Mitte-Parteien – Liberale, Zentrum und Christdemokraten – halten nichts von einem weiteren Abbau des Sozialstaats, sondern versprechen bessere Schulen, Kindergärten und Krankenhäuser. Diese Rechnung geht nicht auf.

So spricht wenig dafür, daß die Mehrheit der SchwedInnen nach vier Jahren mit Göran Persson, in denen es mit der Wirtschaft im großen und ganzen bergauf ging, für einen Regierungswechsel votiert. Auch wenn ein Wechsel unwahrscheinlich ist, sind doch die Konturen einer neuen Regierung alles andere als klar. Die letzten vier Jahre kamen die Sozialdemokraten trotz fehlender parlamentarischer Mehrheit gut über die Runden: bis 1995 mit Hilfe der exkommunistischen Linkspartei, seither mit der eher ländlichen Zentrumspartei. Letztere hat aber signalisiert, ins „bürgerliche Lager“ wechseln zu wollen, so daß die Linkspartei als wahrscheinlichste Mehrheitsbeschafferin erscheint.

Dies ist für die Sozialdemokraten ein Zwiespalt. Denn die Linkspartei ist auf dem besten Wege, tief ins Potential der sozialdemokratischen StammwählerInnen einzubrechen. Zwölf Prozent werden ihr vorhergesagt, was eine absolute Mehrheit für eine Links-links-Koalition ergäbe. Die Zeiten, als sich die Linkspartei als sozialdemokratische Mehrheitskrücke ohne Anspruch auf formale Regierungsbeteiligung zur Verfügung stellte, sind vorbei. So kritisieren die Sozialdemokraten deren wirtschafts- und sozialpolitische Konzepte zwar als illusorisch, halten aber die Möglichkeit einer Zusammenarbeit offen.

Das gilt auch für die Umweltpartei – Die Grünen und möglichen Dritten im Regierungsbunde. Derzeit lassen die Umfragen es aber als unsicher erscheinen, ob sie die Vierprozenthürde erneut schaffen. Nach 17 chaotischen Jahren endlich als regierungsfähig anerkannt, waren sie im Wahlkampf mangels zündender Themen unter die Räder gekommen. Ihre Forderungen nach radikaler Arbeitszeitverkürzung und einem Umbau des Steuersystems liegen für viele WählerInnen noch in weiter Ferne. Und Themen wie die künftige EU- Politik und der Ausstieg aus der Atomkraft spielten nur eine untergeordnete Rolle.

Vor allem aber wurden die Grünen von einem Thema überfahren, welches viele SchwedInnen plötzlich weit mehr interessierte als steuer- und sozialpolitische Feinheiten: Ethik und Moral. Letzten Umfragen zufolge haben 87 Prozent der SchwedInnen kein oder nur wenig Vertrauen in ihre PolitikerInnen. Resultat einer nicht enden wollenden Welle von Selbstbereicherungsskandalen, in die alle etablierten Parteien verwickelt waren. Unbeschadet davon kamen bislang nur die Christdemokraten (KDS) mit ihrem Chef, dem Pfingstkirchenprediger Alf Svensson, und die Linkspartei unter der Ägide der Feministin Gudrun Schyman. Sie konnten ihre Botschaft den WählerInnen glaubwürdig vermitteln. Daß gerade diese beiden Außenseiterparteien mit ihrer Moralbotschaft die meiste Aufmerksamkeit errregten, war das neue Element in einem ansonsten trägen Wahlkampf. Aber welche Gegenreaktion soll man auch erwarten, so die Stockholmer Tageszeitung Dagens Nyheter, wenn angesichts der weltweiten Probleme die beiden Spitzenkandidaten „paralysiert wie zwei brünstige Katzen“ sich gegenüberstünden und einander „mit Haferflocken bewerfen“.

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